Sich beeindrucken lassen: Bergfilmfestival in Tegernsee eröffnet
21. Tegernseer Bergfilmfestival eröffnet
Sympathisch, beeindruckend, aufregend – eigentlich beschreiben diese Eigenschaften alle vier Filme, die die Macher des 21. Tegernseer Bergfilmfestivals auf das Eröffnungsprogramm setzten. Tom Dauer und Michael „Micki“ Pause haben auch jenseits dieser vier Filme ein breites und anschauliches Programm für das Bergfilmfestival zusammengestellt: Gut 90 Filme werden bis kommenden Sonntag in verschiedenen Tegernseer Lokalitäten gezeigt.
Bergfilmfestival ist harte Arbeit
Dass ein Film nicht nur dann ein Bergfilm ist, wenn er aus bewegten Naturbildern besteht, die noch dazu von eintönigen Stimmen beschrieben werden, ist bekannt. Doch war genau einen Bergfilm ausmacht, das ist deutlich schwerer zu bestimmen. Die Filme, die bei der Eröffnung des 21. Bergfilmfestivals in Tegernsee gezeigt wurden, machen jedenfalls auf imposante Weise die Bandbreite des modernen Bergfilms deutlich. Über 250 Filme waren für das diesjährige Festival eingereicht worden. Gut 90 haben es schließlich ins Programm geschafft, berichtete Michael Bourjau, Tegernsees zweiter Bürgermeister, in seiner Begrüßung. Davon wiederum stellen sich 40 Filme dem Wettbewerb um den „Großen Preis der Stadt Tegernsee“.
Dass es kein leichtes Unterfangen ist, ein Programm für das Bergfilmfestival auf die Beine zu stellen, stellte auch Festivaldirektor Tom Dauer fest. „Harte Arbeit“ sei die Vorauswahl gewesen, berichtete er im nahezu vollbesetzten Barocksaal des Klosters Tegernsee. Doch die Mühe hat sich gelohnt: Bereits die vier Filme, die am Eröffnungsabend gezeigt werden, beeindruckten das Publikum hör- und sichtbar: Manche Szenen aus den Filmen ließen die Zuschauer herzhaft lachen, während andere ein anerkennendes Staunen auf die Gesichter zauberten.
Wie alle anderen Menschen
Gleich der erste Film – Gipfel-Liebe (Regie: Claus Hanischdörfer) – verbindet die Faszination des alpinen Kletterns mit der vermeintlichen Banalität des Alltagslebens, mit der sich die Zuschauer leicht identifizieren können. Der Streifen portraitiert das Ehepaar Daniela und Robert Jaspers, die zu Deutschlands Spitzenalpinisten zählen. In gemeinsamer Seilschaft haben die beiden Baden-Württemberger mehrere freie Erstbegehungen an der Eiger-Nordwand gemeistert.
Die Protagonisten von Claus Hanischdörfers (rechts) Film „Gipfel-Liebe“ Daniela Jaspers (2.v.r.) und Robert Jaspers (3.v.r.) treffen den Festivalleiter Michael „Micki“ Pause (links). Foto: Andreas Wolkenstein
Dass hinter den sportlichen Leistungen Menschen stehen, die dieselben Probleme haben wie alle anderen Menschen, verleiht der Dokumentation einen persönlichen Charakter. „Wir wollten bewusst keinen Extremkletterporno machen“, erläuterte Regisseur Claus Hanischdörfer im Interview auf der Bühne. Vielmehr habe er die Jaspers als Liebespaar zeigen wollen. Dass der Arbeitstitel für den Film zeitweise „Ehe am Abgrund“ lautete, sorgte im Saal für viel Vergnügen. Eine typische Bergsteigerehe führten sie, berichtete Daniela Jaspers im Film, es gehe auf und ab. Ihr sympathisches Lachen zieht sich durch den ganzen Film. Und belegt, dass die Jaspers gute Wege gefunden haben, mit den zahlreichen Schicksalsschlägen umzugehen, mit denen sie immer wieder zu kämpfen hatten.
Der letzte Schrei des Gletschers
Und dass Bergfilm immer auch politisch ist, zeigt das Beispiel Daniela Jaspers ebenso eindrücklich. Ihre Eigenleistung im alpinen Klettern wird oft nicht so gewürdigt, wie es bei ihren männlichen Kollegen der Fall ist, auch das wird im Film deutlich.
Nicht weniger politisch ist Lutz Stautners Kurzfilm „Crying Glaciers“. Er begleitet den Klangkünstler Ludwig Berger bei dessen Touren an den Morteratschgletscher (Schweiz). Berger fängt mit speziellen Mikrofonen die Töne des Gletschers ein – das Fließen des Schmelzwassers, das Knacken des Eises, rollende Felsbrocken. Dabei verwendet er die Mikrofone fast wie eine Kamera, etwa, wenn er einer Fliege folgt, die sich auf den Arm des Künstlers gesetzt hat. Im Kopf entstehen Bilder rein durch den Klang. Es könnte der letzte Schrei des Gletschers sein, wenn man bedenkt, dass es ihn in 100 Jahren vielleicht nicht mehr gibt, sagt Bergers Stimme, die die Bilder des Films aus dem Off begleitet – ein eindrucksvolles Plädoyer für den Klimaschutz.
Eine universelle Botschaft
Nicht weniger eindrucksvoll ist die Geschichte von Antonietta Chiovini, die am Ende des Zweiten Weltkriegs italienische Partisanen in den Bergen des Val Grande mit Waffen, Nahrung und Medizin versorgte. Kälte, Hunger und die ständige Angst, entdeckt und ermordet zu werden, begleitete die damals 17-jährige auf ihren Touren. Um die Geschichte zu erzählen, war der Schweizer Regisseur Thomas Horat für seinen Film „Diciassette“ zwei Mal zu Chiovini gereist und hatte die Seniorin kurz vor ihrem Tod interviewt, sie starb im Oktober 2022. Während die Zuschauer ihre Stimme aus dem Off hören, zeigt der Film Bilder, in denen sich Naturaufnahmen mit Graphic Novel-Elementen vermischen. Das Ergebnis ist ein kraftvolles Statement für die Menschlichkeit. So etwas wie damals dürfe sich nie mehr wiederholen, sagt Antonietta Chiovini an einer Stelle im Film – „eine universelle Botschaft gerade für unsere heutige Zeit“, pflichtete ihr Festivaldirektor Tom Dauer bei.
Festivalleiter Tom Dauer (rechts) unterhält sich mit Filmemacher Thomas Horat über dessen Film „Diciassette“. Foto: Andreas Wolkenstein
„Legal, illegal, scheißegal“
Der letzte Film des Eröffnungsabends führte in die Boulderszene der Schweizer Hauptstadt Bern ein. Dort hatte sich in den 1990er-Jahren eine Gruppe an jungen Menschen gefunden, die sich „die Straße zurückholen“ wollten, wie es einer der Protagonisten des Films „Let it Bärn“ (Regie: Hannes Tell) ausdrückte. Sie kletterten an Häusern, unter Brücken und auf Denkmäler, um damit ein politisches Zeichen gegen den konservativen Mainstream der Stadt zu setzen. Daraus entstand sogar ein Kletterführer für Bern, „Bärn Boulder“, der damit das urbane Klettern für viele Menschen zugänglich machte – nicht unbedingt zum Frohlocken der Behörden. Der Film zeigt die Motivationslage der jungen Menschen – heute selbst Eltern, wie an einer Stelle deutlich wird –, die freilich nicht nur politisch war. „Legal, illegal, scheißegal“, formulierte es einer der anonym bleibenden Protagonisten. Man machte, was Spaß machte.
Im Barocksaal des Klosters Tegernsee, der auch als Aula des Tegernseer Gymnasiums dient, fand die Eröffnung des 21. Bergfilmfestivals statt. Foto: Andreas Wolkenstein
Spaß machen alle Filme des 21. Tegernseer Bergfilmfestivals, doch sie bleiben dabei nicht stehen. Sie wecken auf, beeindrucken und überzeugen. Ob wir damit genauer bestimmen können, was ein Bergfilm eigentlich ist? Vermutlich nicht, aber das macht nichts. Wichtiger ist vielmehr, dass wir uns aufwecken, beeindrucken und überzeugen lassen.