Bei acatech am Dienstag: Lob der Skepsis?
Skepsis und Vertrauen. Foto: pixabay
Zoomkonferenz von acatech am Dienstag
Wissenschaftler sind berufsmäßige Skeptiker. Heute aber trifft Skepsis auch von außen auf die Wissenschaft: Wieviel, wann und von welcher Art ist Skepsis angebracht? Was wird in Frage gestellt? Sind Zahlen gleich Fakten und wie interpretiert man Statistiken? Wie kann man die Öffentlichkeit ins Boot holen?
Diese Fragen stellte Marc-Denis Weitze an den Anfang der Zoom-Konferenz von acatech am Dienstag. Dieser Dienstag, 13. Oktober sei der Internationale Tag der Skeptiker, deshalb habe man dieses ungewöhnliche Thema gewählt, erklärte der Kurator der Veranstaltungsreihe, bei der aktuelle und kontroverse Themen aus Wissenschaft und Technik diskutiert werden, jetzt coronabedingt nur virtuell.
Ist die Statistik in der Krise? fragte Katharina Schüller, Gründerin von STAT-UP in München, die monatlich mit Fachkollegen die lesenswerte Webseite Unstatistik des Monats gestaltet und im Rahmen von „anders wachsen“ einen Vortrag in Holzkirchen hielt.
Lesetipp: Warum der Hammer keine Datenkompetenz hat
Es gehe darum, qualitativ hochwertige Daten zu verwenden, um fundierte Entscheidungen zu treffen, sagte die Statistikerin. Daten seien Schlüsselressourcen, aber man brauche Datenkompetenz, um richtig damit umgehen zu können. Anhand von Zahlen in der Coronakrise zeigte sie anschaulich, wie man Daten analysiert und je nach Variation der Einflussgrößen unterschiedliche Entwicklungen errechnen kann. Das zeigte sie bezüglich der Reproduktionszahl R, der Inzidenz, also Zahl der Neuerkrankungen, Anzahl der Tests, der positiv falsch und negativ falsch bestimmten Erkrankungen. Ihr Fazit war, dass man deutlich mehr Daten brauche, um vom Wissen zum Handeln zu kommen, wobei die persönliche Haltung, also ethische Werte wichtig seien.
Katharina Schüller im Foolstheater Holzkirchen. Foto: Petra Kurbjuhn
Er sei verwirrt von Statistiken, gestand Wolfgang Goede, Wissenschaftsjournalist, der aus Südamerika zugeschaltet war. Zum einen müssten Statistiken verständlich vermittelt werden und zum anderen würden Fakten überall anders bewertet. Sei nun der Mundschutz nützlich oder nicht? Gebe es nicht weltweit viel mehr Tote durch Verkehrsunfälle, Suizid oder Hunger als durch die Pandemie? Und warum stehe Deutschland so gut da wie kein anderes Land? Warum aber würde hier so viel gegen die Beschneidung der Bürgerrechte demonstriert? „Skeptisch sein ist gut“, schloss er seinen Beitrag.
Evidenzbeweis unter Augen der Öffentlichkeit
Die Stärke der Wissenschaft bestehe darin, dass sie ein sich selbst korrigierendes System sei, konstatierte Prof. Dr. Helmuth Trischler, vom Deutschen Museum, dem Rachel Carson Center for Environment and Society und acatech-Mitglied. Das von Karl Popper eingeführte Falsifikationsprinzip gelte nach wie vor. Um einen Nachweis zu erbringen, gebe es neben der Statistik auch noch andere Möglichkeiten. Jetzt aber finde dieser Evidenzbeweis unter den Augen der Öffentlichkeit statt. Früher habe die Gesellschaft ein hohes Maß an Vertrauen in die Wissenschaft gehabt, dies habe seit etwa 1960 abgenommen, Skepsis habe zugenommen.
Die Experten von oben nach unten: Helmuth Trischler, Wolfgang Gode, Katharina Schüller. Foto: Claudia Strauß, acatech
Der Historiker nannte dafür als Beispiel die „Kernenergie als Sündenfall der Wissenschaft“. Die Diskussion aber sei zur Erfolgsgeschichte hin zur Energiewende geworden. Auch die Debatte um Insektizide und Pestizide habe die moderne Umweltbewegung gestärkt. Letztlich sei Geo-Engineering ein drittes Beispiel, wo ethische Fragen diskutiert werden und die Wissenschaft unter Beobachtung stehe.
Wichtig sei die mediale Einbettung, um das Vertrauen der Gesellschaft zu gewinnen. „Wir brauchen für neue Technologien die Zustimmung der Öffentlichkeit“, sagte Helmuth Trischler.
Wissenschaft wird auch missbraucht
Zwei weiterführende Aspekte warf Wolfgang Goede in die Debatte. Wie man am Naziregime und am Stalinismus gesehen habe, sei Wissenschaft auch für Ideologien missbraucht worden. Heute indes benutze die Wirtschaft die Wissenschaft in ihrem Sinne, so habe es 30 Jahre gedauert, bis Rauchen als gesundheitsschädlich anerkannt wurde. „Fake news hat auch was mit der Beeinflussung der Wirtschaft zu tun“, sagte der Journalist.
In der Diskussion ging es sowohl um fehlendes Vertrauen, das zu Skepsis führt, als auch um den Wunsch nach einfachen Erklärungsmodellen, wo mit wenigen Fakten gearbeitet wird und man deshlab zu falschen Schlüssen komme. Katharina Schüller warb dafür, offen zu sein für neue Erkenntnisse, aber auch skeptisch gegenüber Daten, die mein eigenes Weltbild bestätigen und die Bereitschaft Fehler zuzulassen. Ihr Appell an den Journalismus: „Widerspruch zulassen, irren gehört dazu.“
Das Ergebnis des Abends fasst acatech-Präsident Dieter Spath so zusammen: „Im Skeptizismus steckt viel Positives.“