Die Rose ist ohne Warum
Sie blühet, weil sie blühet. Foto: Monika Ziegler
Sonntagskolumne
Der Text geht mir nicht aus dem Sinn. Der Text von Angelus Silesius, den Heini Staudinger in der langen Nacht der Orgel am vergangenen Montag in Langegg rezitierte und der von Konstantin Wecker in dem Lied „Sunder Warumbe“ verarbeitet wurde.
Die Rose ist ohne Warum.
Sie blühet, weil sie blühet.
Sie achtet nicht ihrer selbst,
Fragt nicht, ob man sie siehet.
Ich schaue meine Rose an, diese Rose, die erfror, die wir bis zu den Wurzeln stutzten und die so schön wie nie blüht. Es ist ihr völlig wurscht, ob ich hier bin oder nicht, ob ich sie bewundere oder nicht, sie erblüht zu voller Schönheit.
Ganz anders wir Menschen. Wenn wir etwas getan haben, müssen wir gelobt werden, müssen uns spreizen, uns auf die Schulter klopfen. Warum? Weil wir nicht aus der natürlichen Lebenskraft schöpfen, weil uns das natürliche Selbstbewusstsein unserer uns innewohnenden Kraft und Schönheit fehlt, das Vertrauen in das Leben.
Das fehlende Vertrauen ist es wohl, das unser aller Leben beeinträchtigt, dass uns zu noch mehr Schlössern und Alarmanlagen, zu Pfefferspray und anderem greifen lässt. Wir werden tagtäglich von Horrormeldungen überschwemmt, Einbrüche und Überfälle, Terrorakte und andere Gewalttaten und wir glauben wir müssen uns schützen.
Und langsam sickert das fehlende Vertrauen auch ein in die normalen Beziehungen in der Familie und zu Freunden. Was könnte der nur gemeint haben mit dieser Bemerkung? Hat er vielleicht jemanden anderen lieber als mich? Das Misstrauen vergiftet Partnerschaften und Freundschaften.
Lilly voller Vertrauen. Foto: Monika Ziegler
Und dabei wäre es doch ganz einfach. Man nehme sich meine Katze Lilly als Vorbild. Sie hat mich adoptiert, sie liebt mich, ohne jedes Misstrauen. Das zeigt sie, indem sie mir immer den Bauch zum Streicheln hinstreckt, ein Vertrauensbeweis.
Kleine Kinder sind genauso vertrauensselig. Wenn sie einem Menschen vertrauen, dann geben sie sich hin. Mein dreijähriger Enkel hält sich an meinen Schultern fest und dann darf ich mit ihm durch den tiefen See schwimmen. Keine Angst, nur Vertrauen und Spaß. Seine einjährige Schwester streckt ihre Hand vertrauensselig zur Oma aus, auch wenn ein großer Hund im Anmarsch ist.
Wir haben in unserer 27. Ausgabe der Zeitung KulturBegegnungen das Thema „Vertrauen“ aufgegriffen und Michael von Brück hat auf der Titelseite im Interview den Vertrauensverlust in unserer heutigen Zeit ebenso bedauert wie Michael Pelzer in seiner Kolumne. Auch er spricht von den Kindern, die vertrauensselig sind und meint, dass das Wort für manchen einen negativen Beigeschmack hat, leider.
„Laufen, laufen, laufen und schon gleiten sie“. Foto: Ines Wagner
Auch die Studierenden der Journalistenakademie in München wählten das Thema „Vertrauen“ für ihr Dossier und beleuchteten es aus unterschiedlichen Perspektiven im Alltag. Da kam Gleitschirmfliegen ebenso zur Sprache wie Flüchtlingshilfe, Fürsorge in der Obdachlosenbetreuung und Vertrauen in die Kompetenz eines Zahnarztes.
Tiefes Vertrauen in die Kraft des Lebens, die wir tagtäglich in der Natur erleben dürfen, ist etwas Wunderbares. Und Vertrauen in Beziehungen zu uns nahe stehenden Menschen ebenso. Nichts ist beglückender als sich gewiss zu sein in der Zuneigung von Menschen.
Und dann darf man doch auch mal Vertrauen haben in nicht Nahestehende. Muss nicht immer gleich etwas Böses vermuten. Das gibt Lebensfreude. Irgendwer hat die Geschichte erzählt von dem Mann, der im Restaurant mit der Karte zahlen wollte und der Kellner ihn aufforderte, seine Geheimnummer einzugeben. Und was tat der Mann? Er sagte sie einfach dem Kellner und bat, die Sache für ihn zu erledigen.
Der österreichische Autor Peter Turrini sagte, dass die Sicherungsindustrie eine der umsatzstärksten Industriezweige der Welt sei. Lässt sich das Geld nicht besser anwenden?
Die Rose baut sich doch auch keinen Zaun um sich herum. Und fragt nicht warum.