Frieden finden beim Spurwechselweg
Die Teilnehmer formieren sich immer wieder neu und tauschen sich beim Gehen zu dem Gesagten aus. Foto: MZ
2. Spurwechselweg in Fischbachau
17 Teilnehmer fanden sich zum zweiten Spurwechselweg von „Anders wachsen“, der in diesem Jahr in Hundham startete. Obwohl wir am Ende im strömenden Regen gehen mussten, waren alle begeistert, sowohl von der Landschaft als auch von den inspirierenden Beiträgen unserer beiden Referenten.
Voriges Jahr starteten wir mit dem neuen Format. In landschaftlich reizvoller Umgebung wollten wir an geeigneten Stellen Station machen, um über gesellschaftlich relevante Themen zu diskutieren. Wir wählten den Weg von Gmund über Holz nach Bad Wiessee. Das Bayerische Fernsehen fand diese Aktion spannend und drehte im Nachhinein einen Film für der Reihe „Stationen“.
Lesetipp: Spurwechsel beim Bayerischen Rundfunk
Für dieses Jahr hatte uns Matthias Striebeck, evangelischer Pfarrer von Schliersee/Neuhaus/Fischbachau, den Hofkapellenweg empfohlen. Nach einer Probewanderung war klar, der ist es. Großartige Landschaft und beachtenswerte Kapellen mit Bedeutung. Wir einigten uns auf vier Themen, die wir leicht den Kapellen zuordnen konnten.
Christof Langer und Matthias Striebeck an der Leonhardskapelle in Hundham. Foto: MZ
Schon zu Beginn der Wanderung ist es die Leonhardskapelle am Alten Wirt in Hundham, die zur Besinnung einlädt. Christof Langer, Pastoralreferent am Kreisbildungswerk Miesbach, brachte mit dem Heiligen Leonhard mit seinen Ketten das Thema „Befreiung“ in Zusammenhang.
An der Leonhardskapelle in Hundham. Foto: MZ
„Wir brauchen befreiende ökologische Gesetze, befreiende soziale Standards und wir müssen Flüchtlinge vor dem sozialen Absturz befreien“, forderte er. Zudem müsse man die Menschen vor der Angst vor dem Anderen und dem Klimawandel befreien. „Niemand wird es tun, wenn nicht wir alle“, sagt er. Diese Worte gab er den Teilnehmern mit auf den Weg bis zur nächsten Kapelle.
Blick ins Leitzachtal. Foto: MZ
Das Format sieht vor, dass sich die Teilnehmer, die sich größtenteils nicht kennen, auf dem Weg in immer neuen Formationen zusammenfinden, um sich über die inspirierenden Worte der Referenten auszutauschen. Das gelang auch dieses Mal perfekt. Wir machen kurz Halt an einer Kapelle in Deisenried mit einer Lourdes-Grotte, Zeichen der Volksfrömmigkeit.
Matthias Striebeck klärt uns auf, dass die Hofkapellen einem besonderen Zweck dienten. Sonntags war es Pflicht, den Gottesdienst zu besuchen, aber es war auch erforderlich, dass mancher auf dem Hof blieb. Der betete dann, wenn die Glocken läuteten, wenigstens ein Vaterunser an der Hofkapelle. Diese wurde in den abgelegenen Gebieten auch als Leichenhaus verwendet.
Das Innere des Blitzmarterls in Hub. Hier lassen wir unsere Ängste. Foto: MZ
Auf wunderschönen Blumenwiesen wandern wir hinauf auf nach Hub, wo zwischen zwei Birken ein Wegkreuz steht. Matthias Striebeck bringt uns an dieser Stelle, wo ein Mädchen vom Blitz erschlagen wurde, mehrere Begriffe nahe.
Zunächst den Begriff Kontingenz, der beschreibt, dass etwas so oder auch anders sein kann. Er erläutert dies an der Bedeutung des Wortes „Zusammen mischen“. Wenn ich Wasser und Wein mische, bleibt es transparent, wenn ich aber Wasser und Ouzo mische, entsteht eine milchige Flüssigkeit.
Unverfügbarkeit
Der Soziologe Hartmut Rosa hat den Begriff „Unverfügbarkeit“ eingebracht. „Wir wollen alles beherrschen und nichts dem Zufall überlassen“, erklärt Matthias Striebeck. Aber dann kam der Blitz. Diese Geschichte ermuntere uns, über den Tod nachzudenken und jetzt ein anderes Leben zu führen. Er schlug vor, unsere Ängste hier zu lassen und mutig zu sein und uns jetzt über die Katastrophen in unserem Leben auszutauschen.
Ich gehe weiter mit einer Teilnehmerin, die den Verlust eines nahen Verwandten zu beklagen hat und wie die Familie gleichzeitig durch das Zusammengehörigkeitsgefühl der letzten Tage mit dem Verstorbenem bereichert wurde.
Wir wandern am Hocheck vorbei und genießen den wunderbaren Blick rechts ins Inntal und links in die Auerbergregion. Hinab zur Schnitzenbaumerkapelle dürfen wir sogar durch das Engagement einer Teilnehmerin, die den Schlüssel holt, unseren Stopp in der Kapelle abhalten.
Malerei an der Decke der Schnitzenbaumerkapelle von Martin Beham. Foto: MZ
Wir bewundern die Malerei an der Decke von Martin Beham und lauschen den Worten von Christof Langer zum Thema Gerechtigkeit. Denn hier hängte der Bauer einen Wallfahrer auf, der sich an seinen Rüben gütlich tat und musste zur Sühne die Kapelle bauen.
Der Pastoralreferent erzählt die Geschichte der Indigenen in Südamerika, deren Leben durch die Industrie zerstört wird. „Ich will ihnen gerecht werden, indem ich mein Leben hier ändere“, sagt er. Enkeltauglich leben und dazu beitragen, dass Deutschland CO2-neutral wird, denn sonst habe die Menschheit verloren.
Die Jakobskapelle. Foto: MZ
Gerechtigkeit ist ein schwieriges Thema, es beschäftigt uns bis wir an der neuen Auerbergkapelle ankommen, die von Michele de Lucchi erbaut und 2012 ökumenisch als Jakobskapelle geweiht wurde. Für Matthias Striebeck ist sie der ergreifendste Kirchenneubau der letzten 100 Jahre.
Lesetipp: Das einladende Kreuz in der Ferne, KulturBegegnungen Nr.27, Seite 3
Hier könne man Frieden finden, wenn man anhalte, sich einlasse, egal, welchem Glauben man angehöre. Betritt man den schmucklosen Raum, wird man erhöht, man muss hinaufsteigen und schaut man dann aus dem runden Fenster, sieht man das Kreuz in der Ferne. „Es klopft an“, sagt der Pfarrer.
Alle Teilnehmer lassen sich auf diesen Ort des Friedens ein und gehen gestärkt weiter. Die alte Auerbergkapelle schauen wir nur flüchtig an, sie ist voll von Dingen des Volksglaubens und wir wollen unseren Eindruck nicht überdecken.
Der Frieden in uns schafft Heiterkeit, auch als sich plötzlich die Schleusen öffnen und wir pitschnass werden. Bei einem feinen gemeinsamen Mittagessen lassen wir den Tag ausklingen.