Wie schützt der Mensch sich vor sich selbst?
Meinhard Miegel führt in die Thematik der Konferenz ein – unter dem Schrei von Edvard Munch, der die Gesellschaft wachrütteln soll. Foto: IW
Konferenz in Berlin
Die provokante Frage „Wie schützt der Mensch sich vor sich selbst?“ war zugleich Titel einer Konferenz der Stiftung Kulturelle Erneuerung in Berlin. Dabei wurde einen Tag lang anhand hochinteressanter Beiträge erörtert, welchen Beitrag Wissenschaft, Kunst und Religion leisten können.
Die offensichtliche Tatsache, dass die westliche Gesellschaft trotz ihrer Errungenschaften nicht nachhaltig und nicht zukunftsfähig ist, führt die Stiftung Kulturelle Erneuerung zur Gewissheit: „Wir müssen die Kultur erneuern“. Ihr Anliegen ist es, den historischen und sachbedingten Zusammenhang von Wissenschaft, Kunst und Religion wieder deutlicher zu machen und dazu beizutragen, ihre Wirksamkeit zu erhöhen.
KulturVision war bei der Konferenz dabei – und trägt hiermit ein Resümee in den Landkreis Miesbach. Außerdem war aus dem Landkreis Miesbach als Podiumsgast und Moderator dabei: Michael von Brück, Rektor der Spirituellen Akademie am Domicilium Weyarn.
Wissenschaft, Kunst und Religion – tragende Säulen der Kultur
„Ein losgelöstes Wissenschaftsverständnis hat faktisch den Zusammenhang von Religion, Kunst und Wissenschaft beseitigt“ Meinhard Miegel, Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung kulturelle Erneuerung
Wie kann dieser Zusammenhang wiederhergestellt werden? Im Rahmen der Konferenz begaben sich anhand dreier Diskussionsrunden führende Vertreter der Wissenschaft, Kunst und Religion auf die Suche nach den Ursachen – und nach neuen Ansätzen für eine kulturelle Veränderung. Wissenschaft, Kunst und Religion sind die tragenden Säulen der menschlichen Kultur. Wie kann die Veränderung aussehen? Wie kann das zerstörerische Potenzial der derzeit herrschenden Kultur eingedämmt werden? Und welche Rolle spielen dabei Wissenschaft, Kunst und Religion?
Stephanie Wahl, Mitglied des Kuratoriums der Stiftung kulturelle Erneuerung. Foto: IW
Den Status Quo fasst die Stiftung Kulturelle Erneuerung so zusammen: Einerseits habe die Kultur die Menschen zur alles dominierenden Spezies werden lassen und ihnen beispiellosen Wohlstand beschert. Andererseits habe sie die Menschen durch Raubbau an Natur, Umwelt, Mensch und Gesellschaft in existentielle Bedrängnis gebracht. „Welchen Weg muss die Gesellschaft beschreiten, die materiellen und nicht materiellen Bereiche wieder in Einklang zu bringen?“ – so die Frage von Stefanie Wahl vom Kuratorium der Stiftung Kulturelle Erneuerung.
Neue Denkweisen müssen her
In die Thematik der diesjährigen Konferenz führte ausführlich Meinhard Miegel ein. Sein Fazit: Wissenschaft, Kunst und Religion sind von den zeit- und ortsgebundenen sowie modischen Denkweisen durchdrungen. Wenn sie die Menschheit aus ihrer selbst verschuldeten Krise führen sollen, müssen sie zunächst von ebenjenen Denkweisen befreit werden, die in diese Krise geführt haben.
„Der Mensch ist des Menschen Wolf“, so Meinhard Miegel. Von der Sklaverei bis in die heutige Zeit füge der Mensch seinen Mitmenschen Leid zu. Trotz Wohlstand entfalte sich die Menschheit keineswegs auf einem Weg der Güte. Im Gegenteil. Der Status Quo unserer Gesellschaftskultur sei ein alarmierender. Deswegen wurde als Symbol für die Konferenz das Bild „Der Schrei“ von Edvard Munch ausgewählt.
Welchen Beitrag kann die Wissenschaft leisten?
In der Runde der Vertreter der Wissenschat forderte beispielsweise Uwe Schneidewind vom Institut für Klima, Umwelt und Energie Wuppertal: „Wir brauchen eine wahrheitssuchende Wissenschaft, die sich ihrer gesellschaftskritischen Funktion bewusst ist.“ Er plädierte leidenschaftlich für eine Wissenschaft, die ihren Elfenbeinturm verlässt und stattdessen kritisch und zukunftsweisend arbeitet. Silja Graupe, Präsidentin und Professorin der unabhängigen Causanus Hochschule für Ökonomie und Philosophie Bernkastel-Kues erläuterte indes zukunftsweisende Ansätze aus dem Bereich der Bildung. An ihrer freien Hochschule wird ein neuer Typus Ökonomie gelehrt. „Wir brauchen mehr Zweifel in der Wissenschaft“, war ihr Credo. Vor allem müssten mehr Räume und eine Sprache der Akzeptanz des „Nichtwissens“ geschaffen werden, damit das Nichtwissen oder auch Misserfolge zugegeben und akzeptiert werden könnten. Sie forderte beispielsweise ein „Studium Generale“ als Muss für jedes wissenschaftliche Studium.
Ist die Kunst noch zukunftsfähig?
Welche Möglichkeiten die Kunst biete, die Entwicklung der Gesellschaftskultur mitzuformen, diskutierten vier Vertreter aus den Bereichen Kunsthistorik, Literatur, Film und Musik. Schriftstellerin Thea Dorn warnte beispielsweise vor einem digitalen Totalitarismus: „Wenn der digitale Bereich über die Kunst herrscht, haben wir es nur noch mit Design und Bespaßung zu tun“, war das Horrorszenario, dass sie provokativ in den Raum warf.
Florien Illies, Gabriela Sperl, Günther Albers, Thea Dorn (v.l.). Foto: IW
Dem hielt Gabriela Sperl, Film- und Fernsehproduzentin aus München, entgegen, dass es die Pflicht und Aufgabe der Künstler sei, sich immer wieder kreative Freiräume zu schaffen. Künstler müssten unbequeme Fragen aufwerfen, provozieren und gegen den Mainstream ankämpfen. Auch Kunsthistoriker und Journalist Florian Illies sowie Musikprofessor Günther Albers stimmten zu: Kunst ist zukunftsfähig. Sie entstünde aus dem „autonomen Mensch“ heraus und habe damit eine wichtige kulturelle Aufgabe zu erfüllen.
Welche Rolle kann die Religion erfüllen?
Die Diskussionsrunde der Vertreter aus dem Bereich Religion moderierte Michael von Brück, der Rektor und spiritueller Leiter der Akademie Domicilium in Weyarn aus dem Landkreis Miesbach. Gemeinsam mit drei weiteren namhaften Theologen erörterte er, wie Religion innerhalb und außerhalb der Kirchen ihren Beitrag leisten kann.
Stiftung Kulturelle Erneuerung – Diskussionsrunde der Theologen und Religionswissenschaftler: Michael von Brück, Markus Vogt, Petra Bahr, Karl-Josef Kuschel (v.l.). Foto: IW
Dass der Kult des Individuums die Religion der Moderne geworden sei, stimmte alle Vertreter der Runde nachdenklich. Ihre Antwort darauf, wie der Mensch sich vor sich selbst schützen kann, war, ein Urvertrauen zu entwickeln, mit dem man in Freiheit scheitern könne. Das christliche Menschenbild müsse wiederentdeckt werden und Vertrauen gefasst werden zu der Erfahrung, dass der Mensch etwas Schöpferisches bewirken könne, nicht nur etwas Zerstörerisches. Als wichtigsten Beitrag der Religion fassten sie zusammen, den interreligiösen Dialog fortzuführen.
Fazit Stiftung Kulturelle Erneuerung
Meinhard Miegels ergreifende Schlussworte beendeten die intensive und hochspannende Konferenz im Tagungswerk der Jerusalemkirche in Berlin. Seine Botschaft: Vertrauen in die Vernunft zu haben. Das könne nur funktionieren, wenn die drei Bereiche Wissenschaft, Kunst und Religion im Dreiklang zusammenarbeiten. Damit hat die Konferenz einen maßgeblichen Impuls geschaffen – die am Abend beim 7. Klimakonzert vom Orchester des Wandels der Staatskapelle Berlin ihren Abschluss fand.
Die Stiftung Kulturelle Erneuerung ist eine Weiterentwicklung des Denkwerks Zukunft, dessen Ziel es war, zu nachhaltigeren Wirtschafts- und Lebensweisen beizutragen.