„Szenen keiner Ehe“ zu Gast im Waitzinger Keller

Marie-Theres Relin präsentiert den Spiegel-Bestseller „Szenen keiner Ehe“ im Waitzinger Keller. Foto: Isabella Krobisch

Lesung in Miesbach

Zwei Autoren, zwei Sichtweisen einer gemeinsamen Reise mit Rückblicken in die Vergangenheit. Auf den linken Seiten des Buches, die Version der „Ex“, rechts, die des Dichters, Franz Xaver Kroetz. Im Waitzinger Keller bekam die weibliche Sichtweise freie Fahrt. Marie Theres Relin stellte ihren Beitrag zum Buch „Szenen keiner Ehe“ dem zahlreich erschienenen Publikum vor.

Franz Xaver Kroetz, legendärer Schauspieler und Autor und inzwischen 76 Jahre alt, möchte seinen ebenfalls in die Jahre gekommenen Mercedes von Teneriffa nach Bayern bringen. Er fragt zwei seiner Kinder, die beide keine Zeit haben und daraufhin „die Ex“, mit der er sechzehn Jahre verheiratet war und von der er bereits seit 2006 geschieden lebt.

Es sollte jedoch nicht bei der Rückholung des Fahrzeuges bleiben, es entstand ein künstlerisches Projekt daraus. Während der Reise verpflichteten sich nämlich beide, jeden Tag zumindest eine Seite zu schreiben und den Text am Ende, vom anderen ungelesen, an den Verlag zu schicken. Marie Theres Relin stimmte zu. Im Residenztheater in München stellten die beiden Autoren ihr gemeinsames Werk im Oktober 2023 vor.

Marie-Theres Relin
Marie Theres Relin beim Signieren und bei der Lesung. Foto: Isabella Krobisch

Nach Miesbach ist Marie Theres Relin alleine gekommen. Konsequent wird sie auch nur den Teil lesen, den sie zum Buch „Szenen keiner Ehe“ beigetragen hat. Wer die andere Seite lesen wolle, könne sich ja das Buch kaufen. Damit Franz Xaver Kroetz auch zu Wort kommt, liest sie eine von ihm vor Jahren verfasste Erzählung, in der er den Alltag der Familie beschreibt. Marie Theres Relin, an der Grenze zur Überforderung als junge Mutter dargestellt, zwischen Biereinkäufen, stillend, für den Dichter kochend. Er, rücksichtslos auf sein Dasein als Dichter fokussiert, im Nebenzimmer.

Die alte Beziehungsdynamik auf Reisen

Wie gestaltet sich nun die Dynamik zwischen den beiden, auf einer Reise, in der das einstige Zusammenleben nur mehr als vage Erinnerung mitreist? Der Mercedes muss erst vom spanischen Mechaniker fit gemacht werden, was dazu führt, dass sich die Abreise ständig verzögert. Sehr schnell treten die Grundmuster der Beziehung wieder zum Vorschein, auch wenn sich die Herausforderungen des Alltags verändert haben. Franz Xaver Kroetz kämpft mit Kniebeschwerden und weiteren Unannehmlichkeiten, die das Altern mit sich bringt. Seine Frustration über das „nicht schreiben können“ hat er sich erhalten. Seine raue, pointierte Schreibweise auch. Er lässt immer wieder einfließen, dass auch „die „Ex“ nicht vor dem Alterungsprozess verschont bleibt und beschreibt die Veränderungen ihres Körpers mit harten, oft verächtlichen Worten.

Marie-Theres Relin
Marie Theres Relin bei der Signierung des Buches nach der Lesung Foto: Karin Sommer

Über den Mut, Unaussprechliches offenzulegen

Doch der Abend im Waitzinger Keller gilt der Darstellung von Marie Theres Relin. Schnell und ohne Pausen liest sie Szenen ihres Erlebens der Reise. Immer wieder scheint sie auf dieser in die alte Rolle zu fallen. Versucht, den Dichter, wie früher, bei Laune zu halten, kocht, organisiert, während sie sich nicht gesehen fühlt. Beschwert sich, weist ohne Unterlass auf die Schwächen des einstigen Partners hin, unterstreicht somit auch ständig ihre eigenen. „Woher rührt der ewige Missbrauch, der mir ständig widerfährt?“, fragt die Autorin im ersten Drittel des Buches, als sie einen neuerlichen beruflichen Tiefschlag erlebt.

Völlig überraschend spricht sie im letzten Teil des Buches über den sexuellen Missbrauch, der ihr als Vierzehnjährige von Seiten ihres Onkels, Maximilian Schell, widerfahren ist. Sie hatte mit der Offenlegung bis nach seinem Tod gewartet. Zwischen Bilbao und Biarritz, im letzten Teil der Spanienreise, hängt das vierzehnjährige Mädchen, das seine Erfahrung niemandem erzählen kann, auch später nicht, völlig verloren, zwischen den Seiten.

Der Großteil des Publikums besteht an diesem Abend aus Frauen. Viele von ihnen kennen die Dynamik, die aus patriarchalen Strukturen heraus Männer und Frauen in Unzulänglichkeit, Machtkämpfen und Einsamkeit festhält, sowie die Sehnsucht nach Unabhängigkeit, Erlösung und Begegnung auf Augenhöhe. Auch der Bayrische Rundfunk ist an diesem Abend zur Stelle, um ein Porträt von Marie Theres Relin für die Reihe der „Lebenslinien“ zu erstellen. Mehr von der Autorin und Schauspielerin also für alle Fans in Kürze.

Zum Weiterlesen: Kindheit am Kuhschwanz von Egern

Gefällt Ihnen dieser Beitrag? Bitte besuchen Sie uns auf