Talentierte Monumente geben sich die Ehre
Ein Ort voller versteckter Talente – das Orgelzentrum in Valley. Foto: Amt für Denkmalpflege (Archiv)
„Talent Monument“ am 10.09.2023 – Tag des offenen Denkmals
Mit Gebäuden verhält es sich wie mit Menschen – je älter, desto doller. Beider Geschichten sind voller Mythen, Geheimnisse und Abenteuer. Zum „Tag des offenen Denkmals“ am 10. September teilen beide ihre Geschichten gemeinsam mit uns. Von singenden Jungfrauen, einer abgängigen Madonna, der Rettung von seltenen Pfeifen und dem Rätsel um einen Planer.
Zum 30. Mal jährt sich am 2. Sonntag im September der „Tag des offenen Denkmals“. Denkmaleigentümer öffnen seit 1993 ihre Türen für Besucher und heißen sie willkommen. Dieser Tag, koordiniert von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD), bringt Menschen in entspannter Runde zusammen – Neugierige, Denkmalfans, Nachbarn treffen sich mit den Bewohnern, Nutzern und Bewahrern der Denkmäler.
Lesetipp: Ein Spaziergang zu Miesbacher Denkmälern
Gemeinsam wird dabei unser vielfältiges kulturelles Erbe gefeiert. Im Laufe der Zeit hat sich das Denkmal-Event mit über 5.500 Aktionsorten in der Bundesrepublik als größtes Kulturfestival gemausert. Wer sich auf eine Begegnung mit einem Denkmal einlässt, den erwartet oft Unerwartetes.
Das diesjährige Motto des Großevents lautet „Talent Monument“. Dahinter verbirgt sich laut den Machern die spannende Frage: „Was macht ein Denkmal zu einem Denkmal und welche bislang unerkannten Denkmal-Talente haben mehr Aufmerksamkeit verdient?“ Welches verborgene Talent verbirgt die Kirche um die Ecke, das alte Industriegebäude in der Stadt oder der Hügel mitten auf der Wiese.
Talent allein reicht nicht
Talent allein reicht jedoch selten. Denkmäler sind sichtbare Zeugen unserer kulturellen Identität und Teil unserer Menschheitsgeschichte. Ihr Schicksal ist immer auch eng verbunden mit unsrem Wirken und Respekt. So steht hinter jedem „Talent Monument“ ein pflegender menschlicher Bewohner, eine Stiftung oder ein Verein als Kümmerer und staatliche wie kirchliche Nutzer, die den Fortbestand durch sorgsame Nutzung möglich machen. Ohne die Unterstützung ist die Talentförderung undenkbar.
Denkmalbewahrer in Miesbach – immer auch eine Frage des Kümmerns und der Finanzierung (v.l.) Manfred Burger, Christian Goldbach, Sabine Weigand und Gerhard Braunmiller. Foto: JR/ND
Das ist bei uns im Landkreis nicht anders. Über 1.200 Bauwerke im Kreis Miesbach sind in der Denkmalliste des Bayerischen Landesamtes für Denkmalschutz aufgeführt. Wie schon in den Vorjahren nutzen auch diesmal wieder heimische Denkmal-Talente die Bühne des Denkmalevents. Mit dabei die Villa Bruneck in Kreuth, das Orgelzentrum in Valley, die Gotzinger Filialkirche St. Jakobus sowie die Allerheiligenkapelle nahe Irschenberg.
Ein Dorf feiert ihr „Talent Monument“
Rund um die Allerheiligenkapelle in Reichersdorf gibt es einiges zu entdecken und ein ganzes Dorf feiert mit. So organisiert die Dorfgemeinschaft am 10. September einen Kuchenverkauf und im Biergarten beim Wirt ist für die weitere Verpflegung gesorgt. Im Mittelpunkt steht jedoch am Sonntag die Dorfkirche. Im Jahr 1644 wurde unter Klosterpropst Valentin Streyrer eine große Rotunde mit Kuppelhaube erbaut. Im Innenraum der um 1733 barockisierten Kirche befindet sich das einzigartige Altarbild der 14 Nothelfer und der Hölle des Jüngsten Gerichts. Georg Hazl, der engagierte Talent-Förderer vom Förderverein Kultur & Geschichte in Weyarn e. V., führt die Besucher durch das wundersame Bauwerk auf dem ganz besonderen Boden.
Erst kam die Entdeckung der Erdgänge und dann das Gotteshaus – die Allerheiligenkapelle. Foto: @Tag des Denkmals
Doch damit längst nicht genug. Die eigentliche Geschichte der Entstehung des Gotteshauses bleibt für den Betrachter unsichtbar. „Ein Paursmann Hannß Westiner genant“, wie es in einem alten Text heißt, wollte am 11. Juli 1640 ein Loch für einen Brunnen graben. Doch stieß er dabei auf ein Geflecht aus unterirdischen Gängen unbekannter Herkunft. Wasser und Erde der Gänge wurden heilende Kräfte nachgesagt. Daraufhin gab Probst Valentin den Auftrag für die Allerheiligenkapelle. Einer Sage nach sollen sich singende Jungfrauen unter der Kirche tollen. Ein Blick in die mythische Unterwelt dürfen Mutige am Sonntag nach den Führungen werfen.
Altes bewahrt Altes vor dem Verfall
Ein liebgewonnener Dauergastgeber beim jährlichen Denkmal-Event ist das Orgelzentrum in Valley. Sozusagen ein Multi-Talent. Die Gebäude, das Schloss und die Zollingerhalle sind nicht nur ein Denkmal, sondern sie beherbergen selbst Schätze aus alter Zeit. Zeitgeist sprachlich sind Dr. Sixtus und Inge Lampl wohl Talent-Scouts der Extraklasse. In den Neunzigerjahren retteten der „Orgelpabst“ und seine Frau das 700 Jahre als Pflegeamts- und Gerichtshaus dienende, spätere Gasthaus und zuletzt Wohnstätte des Autors Michale Ende vor dem Verfall. Heute ist es die Heimstätte für über sechzig geliebten historischen Orgeln, die der Schlossherr in ganz Deutschland dem Verfall oder Umbau bewahrt hat.
Lange Zeit ein Sägewerk, heute ein Museums- und Konzertraum – die Zollingerhalle. Foto: @Orgelzentrum
Am Sonntag lädt der studierte Kunsthistoriker und Orgelspieler zur Besichtigung des Orgelzentrums in der Zollingerhalle ein. Die eindrucksvolle Konzerthalle mit der weltberühmten Heidelberger und fünf weiteren spielbereiten Orgeln feiert heuer das 100-jährige Bestehen. Allerdings nach einer großen Transformation. Talent-Scout Dr. Sixtus Lampl entdeckte dieses Wunder der Akustik, das von 1923 bis 1999 ein Sägewerk beherbergte, und gab ihm eine neue schillernde Bestimmung als Heimat seiner Orgeln und Konzerthaus. Um 15:00 Uhr lädt Organist Clemens Schäfer in einem Konzert dazu ein, in die einzigartige Akustik der Halle einzutauchen.
Ein „Talent Monument“ benötigt Pflege und Zuwendung
Ein weiteres Kleinod der vier „Talent Monumente“ bei uns befindet sich in der ehemaligen Sippensiedlung des Gozo in Gotzing. Der idyllische Ort am Fuße des Taubensteins und nah der Mangfall erfreut sich bei Ausflüglern und Radlfahrern größter Beliebtheit. Wie auch die eindrucksvolle Filialkirche St. Jakobus der Aeltere vielen durchaus vom Wegesrand bekannt ist. Der 500 Jahre alte spätgotische Saalbau mit dem heute prunkvollen barocken Innenleben wurde Mitte des 15. Jahrhunderts erbaut. Doch leider bereitet der aktuelle Zustand des Gotteshauses der Mesnerin Elisabeth Wöhrt und Pater Michael, den „Kümmerern“ von Gotzing, große Sorgen.
500 Jahre Geschichte – die Filialkirche St. Jakobus der Aeltere. Foto: @Tag des Denkmals
Die kleine Kirche St. Jacobus benötigt nach einem Hagelschaden im Jahre 2021 dringend Zuwendung. Elisabeth Wöhrt nutzt daher den „Talent Monument“ Tag, um für unsere Unterstützung zu werben. Die Mesnerin wird bei Ihrer Führung am Sonntag etwa die großartigen Fresken des Aiblinger Malers J. G. Gaill präsentieren. Daneben ist Elisabeth Wöhrt als Kümmerin gleichzeitig die Hüterin der über 500-jährigen Geschichte des Bauwerks. Wie etwa der unglaublichen Geschichte, die sich um die 60 Jahre lang verschollenen Madonnen-Statue und den „Linnerer Bauern“ rankt. Wer sie hören will, sollte sich am 10. September nach Gotzing aufmachen.
Erst adlige Sommerfrischler, dann Senioren
Das Tegernseer Tal erfreute sich Ende des 19. Jahrhunderts großer Beliebtheit als Ort für die Sommerfrische. Betuchte Menschen und der Adel genossen das einmalige Klima in der warmen Jahreszeit. Nahe den Bergen mit dem See um die Ecke. Nicht anders als heute wurden damals rund um den Tegernsee viele mondäne Villen und Sommersitze von Privatleuten erbaut. Die Villa Bruneck im heutigen Bergsteigerdorf erzählt die Geschichte dieser Zeit. 1907 im Auftrag der Gräfin Schlippenbach von dem Münchner Stararchitekten Gabriel von Seidl, selbst passionierter Sommerfrischler, erbaut.
Wo heute Senioren residieren, lebte einst die Gräfin Schlippenbach – die Villa Bruneck. Foto: @Unternehmensgruppe Johannes Heuser
Im Jahr 1955 erwarben Richard May und seine Frau Gertrud aus der berühmten Kreuther Arzt-Dynastie May das Anwesen. Das „Haus Bruneck“ wurde zunächst als Sanatorium, dann Seniorenwohnheim genutzt. Eine im Tal äußerst beliebte Nutzungs-Variante der großen alten Villen nach dem Zweiten Weltkrieg. Seit 2005 betreibt die Unternehmensgruppe Johannes Heuser das Haus als Seniorenwohnanlage. Irene Wachberger-Heuser, selbst Künstlerin und Bühnenbildnerin etwa bei der Sendung „Was bin ich“, hat sich immer liebevoll um die Villa und ihre in Laufe der Jahre hinzugefügten Bauten gekümmert.
Ein Denkmal-Rätsel zum Abschluss
Allein diese vier „Talent Monument“ Zeugnisse im Landkreis veranschaulichen, dass hinter jedem der Denkmäler eine wechselvolle, von Verfall, Transformation und Neuerfindung geprägte Geschichte steht. Geschichten, die immer eng verwoben sind mit den Menschen, die in den Denkmälern leben, sie nutzen, sie pflegen und bewahren und somit ihre einzigartige Geschichte so für die Nachwelt bewahren. Und fast immer verbergen die geschichtsträchtigen Gemäuer viele Mythen, Sagen und Rätsel. So wie das, welches wir Ihnen zum Ende der Tour durch den „Tag des offenen Denkmals“ im Landkreis mitgeben wollen: Nach welchen Plänen wurde 1964 der Anbau der Villa Bruneck in Kreuth gebaut?
Wer hat den Anbau an die Villa Bruneck denn nun geplant? Foto: @Unternehmensgruppe Heuser
In fast allen Beschreibungen der Villa wird Olaf Gulbransson, der berühmte norwegische Karikaturist, dessen zweite Heimat das Tegernseer Tal war, als Planer genannt. Naheliegend, war doch Richard May der behandelnde Arzt und Freund des Künstlers. Anderseits lässt sich kein Zeugnis für eine architektonische Arbeit des begnadeten Karikaturisten finden. Anders verhält es sich bei seinem Sohn Olaf-Andreas Gulbransson, der sich in seinem kurzen Leben einen Namen als bedeutendster Kirchenerbauer unserer Zeit machte. Beide Künstler waren 1964 bereits verstorben. Wer also fertigte die Zeichnungen für den Anbau der „Villa Bruneck“ an? Vater oder Sohn oder etwa beide gemeinsam? Ihre Antwort können Sie an die Redaktion der KulturVision senden.