Explosive Talkshow mit Verstorbenen
Geistreiche Unterhaltung mit dem Fools-Ensemble: Alois Böhm, Bernd Schmidt, Cathrin Paul, Andrea Rosskopf, Henry Sepulveda. Foto: Karin Sommer
Talk-im-Theater-Event in Holzkirchen
Wie wäre es, eine der beliebten Talkshows mit bereits verstorbenen Stars aus der Vergangenheit zu besetzen? Gerhard Loew wagt es und zeigt mit seinem Stück „Talk Extra“ , dass Unterhaltung geistreich sein darf. Hinreißend komisch wird sie vom Fools-Ensemble auf seiner Hausbühne in Holzkirchen dargeboten.
Die Moderatorin in fröhlichen Farben, das Haar streng zusammengefasst, die Gesichtsmuskeln zum sympathischen Lächeln ermahnt. Bereit für die Diskussionssendung, heute Talkshow genannt, weil das viel besser klingt. Sie begrüßt das Publikum vor den Fernsehern, im Saal und dann auch schon ihren ersten Gast, den bekannten Autor Ludwig Thoma (Alois Böhm), der sich durch seine satirischen Schilderungen des bayrischen Alltags einen Namen gemacht hat. Bereitwillig ist er ins Jahr 2019 gereist und nimmt mit Lederhose, Gamsbart und Pfeife im Studio Platz.
Die Hose hinunterlassen
Wie es sich gehört, geht die immer lächelnde Moderatorin (Cathrin Paul) gleich ans Eingemachte und holt die unliebsamen Ereignisse aus dem Leben des Autors ans Licht. Dieser weiß jedoch nicht, dass es im Jahr 2019 üblich ist, vor den Kameras die Hose hinunterzulassen und wehrt sich standhaft, seine intimen Geheimnisse preiszugeben.
Zwei Meister des Wortgefechtes: Ludwig Thoma (Alois Böhm) und Sigmund Freud (Bernd Schmidt). Foto: Karin Sommer
Als nächster in der Runde wird Karl May (Henry Sepulveda) begrüßt. In breitem sächsischen Dialekt und Old Shatterhand-Look versucht auch er, den charmant dargebrachten Angriffen der Moderatorin standzuhalten. Wie schon vorher Ludwig Thoma weist die Talkmasterin auch Karl May auf seinen Gefängnisaufenthalt hin, den dieser eloquent schönredet. Wunderbar, wie Henry Sepulvada den Charakter des immer etwas beleidigten, weil von der Welt nicht wirklich erkannten Schriftstellers, so fein zeichnet, als ob er ihn nicht interpretieren würde, sondern einfach in seine Haut geschlüpft wäre.
Zur Selbstdarstellung gezwungen
Während Thoma, der Zyniker, und der sich als optimistisch, heldenhaft wahrnehmende Karl May beginnen, sich zu beschimpfen, betritt der nächste Gast die Szene. Femme fatale Lola Montez (Andrea Rosskopf), irische Tänzerin und Geliebte König Ludwig des Ersten von Bayern. Auf ihr Leben als Mätresse angesprochen, erklärt sie diesen Begriff als „Muse für eingesperrte Herzen“, lässt demonstrativ ihr Stofftaschentuch fallen, das Karl May, ohne zu zögern, dienerhaft aufhebt.
Bernd Schmidt, Cathrin Paul, Andrea Rosskopf. Foto: Karin Sommer
In Grund und Boden analyisert
Die illustre Runde wird von einem Österreicher vervollständigt, wortkarg, „grantig“ und von sich selbst eingenommen. Sigmund Freud (Bernd Schmidt) lenkt gekonnt von eigenen Schwächen wie seiner Kokainsucht ab, indem er die Anwesenden redegewandt mit Fachausdrücken in Grund und Boden analysiert. Karl Mays Gewehr sei ein Symbol für seinen Penis, der nicht schussbereit sei, Lola Montez habe sich die sexuelle Abhängigkeit des Königs zunutze gemacht und Ludwig Thoma hätte hölzerne Bauernromane geschrieben, während er sich für Shakespeare gehalten habe.
Menschen mit Ecken und Kanten
Das Stück aus der Hand von Gerhard Loew ist das, was den meisten Talkshows fehlt. Es ist geistreich, hat Wortwitz, basiert auf einer gründlichen Recherche und unterhält auf höchstem Niveau. Die mitwirkenden Schauspieler sind die perfekte Besetzung, lassen die Figuren aus der Vergangenheit lebendig werden und zeigen ihre Ecken und Kanten. Sie wecken die Sehnsucht nach Menschen, die zeigen, wer sie sind anstatt alles daran zu legen, der Kamera und den Zuschauern dahinter zu gefallen.
Verbeugung unter anhaltendem Applaus für das Fools-Ensemble. Foto: Karin Sommer
Der Abend wird von Minute zu Minute heißer, die Themen brenzliger und auch die Assistentin (Ulli Jochem) schafft es nicht mehr, die sich auftuenden Furchen zu überschminken. Die aufeinander losgelassenen Protagonisten erfüllen die in sie gesteckten Erwartungen, erahnen aber dann doch, dass sie nichts weiter als Spielbälle sind. Wie die ungewöhnliche Diskussionsrunde zu Ende geht, soll hier nicht verraten werden. Noch siebenmal gibt es die Chance, einen Abend im Foolstheater zu erleben, der Hirn und Herz gleichermaßen erfreut, der den Wunsch nach geistreicher Unterhaltung und hoher schauspielerischer Leistung zutiefst befriedigt.
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