Krimi im Schafspelz
Das Testament des verstorbenen Bauern Quirin Braxentaler wird eröffnet. Und räumt mit vielen familiären Geheimnissen, Ungereimtheiten und Vorurteilen auf. Allerdings erst ganz am Schluss des Dreiakters. Auf der Bühne (v.li.) Christina Kern, Andreas Kern, Lenz Feichtner, Felix Thörl, Ben Frank, Nicola Pendelin. Foto: Anja Gild
Uraufführung im Tegernseer Volkstheater
Wer wird der neue Bauer auf dem Geiger-Hof? Natürlich…. . Nein, so einfach ist die Welt nicht im neuen Stück des Tegernseer Volkstheaters „So lafft der Hos‘!“. Spannung über drei Akte. Gefeierte Premiere. Ein Familienkrimi in Komödienformat. Die Auflösung erfolgt am Schluss. Zur Überraschung aller.
Man nehme sechs Schauspieler mit offenkundiger Liebe zum Bühnenspiel, eine pfiffige Jung-Regisseurin, einen versierten Autor und schon ist das neue Bühnenstück fertig: „So lafft der Hos‘!“ feierte am Karsamstag seine Uraufführung im Tegernseer Volkstheater.
Vor vollem Haus im Ludwig-Thoma-Saal. Und mit großem Applaus. Dass der „Hos’“ irgendwas mit Ostern zu tun haben könnte, stimmt nicht. Andreas Kern wählte den Titel als Bild für eine scheinbar heile bäuerliche Welt, in der jeder und alles seinen angestammten Platz zu haben scheint. Natürlich ein Trugbild. Der Bauer Quirin Braxentaler stirbt, seine Schwester kommt nach vielen Jahren als „neue Bäuerin“ aus der Stadt zurück ins Elternhaus. Sie krempelt mit ihren Ideen zu Frauen- und Arbeitsrecht alles um. Vor allem die Welt der Männer.
Am Ende rüttelt das Testament des Bauern die Welt nochmals gewaltig durcheinander. Dabei hatte sich der Zuschauer durch viele kleine Hinweise und Dialoge schon die fiktive Lebenswirklichkeit der Figuren zusammengebaut. Schlussendlich kommt aber alles anders als gedacht. Nicht nur für die Zuschauer, auch für die Spieler im Spiel.
Spannung bis zum Schluss
Aber der Zuschauer sei an dieser Stelle gewarnt: Der Aufbau des Theaterstücks verlangt dem Zuschauer volle Konzentration ab. Erst ganz am Schluss kommt die Auflösung der gesamten Geschichte. Ein kluger dramaturgischer Schachzug von Autor Andreas Kern, der die Spannung bis zur letzten Silbe des letzten Willens garantiert. Wer am Ende der Testamentsverlesung nicht komplett folgt, wird einen Erzählstrang des Stücks nur schwerlich nachvollziehen können.
Jurastudent Baron Balthasar von Schellenberg und Oberknecht Sebastian kämpfen mit Weiberarbeit: Eine der vielen komödiantischen Szenen im neuen Stück des Tegernseer Volkstheaters „So lafft da Hos‘!“. Foto: Anja Gild
Mit Liebe zu den Brettern, die die Welt bedeuten
Eine Uraufführung ist immer eine kitzlige Sache, verrät der Theaterleiter Andreas Kern am Ende der Aufführung. Aber offensichtlich nicht kitzlig genug, um nicht bewältigbar zu sein: Die sechsköpfige Schauspieltruppe legte ein beschwingtes, ambitioniertes, humorvolles aber auch tiefgründiges Spiel auf die Bühne. Ob Lust oder Liebe, Humor oder Schalk, Wut oder Trauer, Zorn oder Eifersucht – die sechs Personen zeigten ihr ganzes Können und wirkten authentisch in ihren Rollen.
Sie hatte die große Rolle des Abends: Christina Kern spielte die aufgeklärte, emanzipierte Städterin des frühen 20. Jahrhunderts überzeugend und mit packendem Tiefgang. Es war ihre erste wirklich große Rolle. Sicherlich nicht die Letzte.. Foto: Anja Gild
Große Rolle für Christina Kern
Andreas Kern, der das Volkstheater nun seit zehn Jahren leitet, hat als Autor des Stücks natürlich einen Vorteil: Er kennt seine realen Charaktere und kann seine literarischen Figuren wunderbar an die Schauspieler anpassen. Die Rollen sind allen auf den Leib geschnitten. Dies gilt im besonderen Maße für Christina Kern. „Bisher hatte ich ihr immer kleinere oder mittlere Rollen zugedacht. Heute hat sie die Hauptrolle bekommen und sich bravourös geschlagen,“ lobt Andreas seine Ehefrau, begleitet von einem Kuss und einer Umarmung. Christina Kern hat ihre Rolle als aufgeklärte, emanzipierte Rückkehrerin aus der Stadt in eine von Traditionen bestimmte bäuerliche Welt sehr überzeugend gespielt.
Nicola Pendelin (li.) als die junge Magd Kathie erfrischte mit ihrem ausdrucksstarken Spiel. Beide Frauen – die Ältere (Christina Kern, re.) und die Jüngere verbünden sich gegen die Welt der Männer. Gerade verstehen alle, dass Kathie vom Knecht Beni schwanger ist. Nur der Oberknecht (Andreas Kern, Mitte) versteht – typisch Mann – nur Bahnhof. Foto: Anja Gild
Von der Regieassistentin zur Jung-Regisseurin
Als sich der Vorhang nach dem Schlussapplaus wieder öffnete, holte Andreas Kern eine junge Frau auf die Bühne: Julia Stark. „Bisher hat Julia bei der Regie geholfen, diesmal vertraute ich ihr die Gesamtregie des Stückes an,“ verkündete der Leiter des Volkstheaters. Überhaupt zeigte er sich froh über die Verjüngung seiner Schauspielgruppe und seiner Theatercrew. Und recht hat er. Die jungen Schauspieler haben unter der Regie von Julia Stark wunderbare Arbeit geleistet.
Mit sicherem Gespür hat sie die Handlungs- und Dialogabfolge des Stücks szenisch umgesetzt. Auffallend war ihr Mut, den aktionsreichen, temperamentvoll gespielten Passagen lange, ruhige und tiefgründige Szenen entgegenzusetzen. Das Wechselspiel verfehlt seinen Reiz nicht: So hatten auch die individuellen, gesellschaftskritischen oder politischen Themen ihren Platz – leichtfüßig umspielt von den komödiantischen Elementen des Bauerntheaters.
Ein Videomitschnitt von der Uraufführung auf Youtube:
Kleine Regieeinfälle zeigten, mit wieviel Sorgfalt die junge Frau den Theaterstoff umgesetzt hat. Beispielsweise beim jungen Knecht Korbinian, angeblich Sohn eines Schusters, dessen Schuhsohlen von Löchern zerfressen waren. Oder die Szene mit dem Plumeau, als der junge Baron Balthasar von Schellenberg (Felix Thörl) und der Oberknecht Sebastian (Andreas Kern) „Weiberarbeit“ verrichten und ein Bett beziehen sollten. Am Ende war der Oberknecht im Bezug verschwunden. Oder als die Magd Kathie (Nicola Pendelin) den Handkuss des jungen Baron dezent an ihrer Schürze abreibt – sie hatte erfahren, dass ein Baron auch nur ein Mensch ohne „blaues Blut“ sei.
Drei von vielen Regieeinfällen, die das Publikum zu schallendem Lachen reizten. Natürlich neben den erwartbaren schalkhaften Elementen klassischen Bauerntheaters: Beinahe-Schlägereien, Koketterien, Liebeswirrnisse, Generationenstreit, Standeskonflikte, Geschlechterkampf, Hochdeutsch-Dialekt-Missverständnisse. All das durfte natürlich nicht fehlen.
Jungknecht Korbi (wunderbar gespielt von Lenz Feichtner) war erst wenige Stunden auf dem Hof. Er machte, wie alle Figuren, einen großen Wandel mit: Vom Kind, zum Volljährigen, zum Sohn und zukünftigem Bauern am Geiger-Hof. Foto: Anja Gild
Stoff im historischen Gewand
Andreas Kern verriet etwas über die Geburtswehen seines Stückes: Ein halbes Jahr habe er daran gearbeitet. „So ein Stück ist das Kind der eigenen Fantasie und erst bei der Umsetzung zeigt sich, ob es funktioniert oder nicht.“ Da es sich um einen Stoff handelt, der 1907 spielt, musste Kern viel recherchieren. Hilfe holte sich der gebürtige Tegernseer unter anderem bei der Bürgermeistersfamilie seines Heimatortes Riedering. Die Familie scheint wohl über profunde, historische Kenntnisse zu verfügen. Sie wurden als anwesende Ehrengäste eigens erwähnt.
Darüber hinaus dürfte sich Andreas Kern intensiv mit den gesellschaftlichen und politischen Umbrüchen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts beschäftigt haben. Gleichberechtigung, Frauenwahlrecht, Arbeiterbewegung – all das steckte damals in den Kinderschuhen. Das Historienbild der Jahrhundertwende zeigte sich auch konsequent im Spiegel des Bühnen- und Kostümbildes.
Am Ende war alles wieder gut: Knecht Bene (Ben Frank) und Magd Kathie (Nicola Pendelin) hatten sich nach einigen Liebeswirren wiedergefunden. Liebevoll legt der werdende Vater die Hand auf den Bauch seiner zukünftigen Braut. Foto: Anja Gild
Familientragödie im Schafspelz
Auf den ersten Blick ist das neue Stück des traditionsreichen Tegernseer Volkstheaters so ein richtig komödiantisches, witziges Bauerntheater. Dahinter verbirgt sich aber schwerer Stoff: Die Lebenstragödie von Katharina Braxentaler, die verborgene Geschichte des unehelichen Kindes Korbinian, die hierarchischen Strukturen der bäuerlichen Gesellschaft, der Kampf der Frauen um gleiche Rechte, der Kampf der Arbeiterklasse um Grundrechte. Mehrere Themenstränge ziehen wie rote Fäden durch das historisch motivierte Theaterstück. Klug und feinsinnig ineinander verflochten. Am Ende löst sich der Zopf natürlich auf. Happy End. Die durcheinander gewirbelte alte Welt darf und kann in einer neuen Weltordnung erfolgreich weiterbestehen. Das Rezept für die Zukunft! Man nehme… .
„Nach dem Tod des kinderlosen Bauern kommt am Tage vor der Testamentseröffnung dessen Schwester Katherina als einzige Erbin auf den Geiger-Hof. Jahrzehnte lang als Haushälterin bei einem „Roten Politiker“ in der Stadt, bekam sie von ihm eine gehörige Portion „Feminismus und sozialdemokratisches Gedankengut“ mit auf den Weg.
Auf Ihrem Hof angekommen, will Sie natürlich gleich alles ändern, jedoch bringen geregelte Arbeits- und Ruhezeiten und vor allem mehr Rechte für Frauen, den Tagesablauf auf dem Hof gehörig durcheinander. Sofort muckt die männliche Belegschaft auf und ein Knecht spricht sogar von „Revolution gegen die Bäuerin“.
Kommt es dazu, oder bringt der letzte Wille des Bauern eine Überraschung? Schließlich waren er und eine Schwester seit Jahrzehnten verfeindet…“
Die Rollen:
Sebastian, Oberknecht Andreas Kern
Katherina Braxnthaler Christina Kern
Kathi, Magd Nicola Pendelin
Bene, Knecht Ben Frank
Korbi, Knecht Lenz Feichnter
Baron Balthasar von Schellenberg, Jurastudent Felix Thörl