Die Wurzel der Kunst ist das Handwerk
Nachhaltige moderne mit der Tradition verbundene Textilkunst zeigt das Atelier Košilela aus Prag in einer Modenschau im Freien. Foto: Hannes Reisinger
Thementag zu Textilkunst in Niederösterreich
Der Textilkunst in Europa war der vierte Thementag der Kulturbrücke Fratres gewidmet. Wie kann sich europäische Textilkunst gegen den asiatischen Markt behaupten? Was kann Tradition lehren? Sprechen wir von Niedergang oder von Aufbruch?
Bekanntermaßen wird unsere Kleidung im asiatischen Raum unter katastrophalen Bedingungen gefertigt. Die Näherinnen müssen unter gesundheitsschädigenden und finanziell ausbeuterischen Bedingungen arbeiten. Weil die Kunden in Europa vorwiegend zu Billigware greifen, ist der europäische Markt nahezu verschwunden.
Entwicklung der Textilkunst
Unser Partner, die Kulturbrücke Fratres, griff das Thema auf und warf einen Blick auf die Entwicklung der Textilkunst in legendäre Zeiten beginnend bis hin zu vielversprechenden Wegen in der Jetztzeit.
Autorin Mella Waldstein, Textilkünstlerin Vesna und Tagesverantwortliche Jana Zoglauer Vinšová. Foto: Hannes Reisinger
Legendär ist die Textilkünstlerin Vesna, die wir in der 10. Ausgabe der KulturBegegnungen porträtierten. Vesna studierte an der Wiener Werkstätte, war Dozentin an der Akademie der Bildenden Kunst in Wien und gründete eine Künstlerkolonie in Primmersdorf im Waldviertel, wo sie jahrelang ihr Atelier betrieb und Ausstellungen initiierte. Jetzt schreibt die Waldviertler Autorin Mella Waldstein, die uns für die 10. Ausgabe der KulturBegegnungen eine Geschichte schrieb, ein Buch über die Künstlerin.
Lesetipp: Ein weiblicher Do Quichotte – Die Textilkünstlerin Vesna
Bei unserem Gespräch 2009 beklagte die 73-Jährige bereits das Sterben des alten Handwerks in Europa, insbesondere des Textilhandwerks: „Die Demut vor der Meisterschaft ist weg, das ist ein Kulturverlust.“ Angeregt auch durch Reisen nach Indien und Japan, wo man die alte Handwerkskunst noch schätze und lehre, entwarf Vesna Muster, färbte und druckte sie mit Holzmodeln und fertigte so Stoffe und Mode, die ihre besondere Ausstrahlung haben. “Die Wurzel der Kunst ist das Handwerk“, betonte sie damals und zeigte ihre Unikate in einer Ausstellung.
Ein Gobelin von Vesna. Foto: Hannes Reisinger
Durchscheinende Gobelins, nur von einer Seite bedruckt, standen auch jetzt im Mittelpunkt der Ausstellung in Fratres. Daneben waren Kleider, Einzelanfertigungen der Textilkünstlerin zu sehen, jedes ein Kunstwerk, jedes zeugt von handwerklichem ebenso wie künstlerischem Geschick. „Mein Anliegen ist es, einen speziellen Ausdruck zu zeigen“, sagte die 86-Jährige. Die Verbindung von Qualität und Tradition habe ihr zum Erfolg verholfen. „Damals war Mode noch Kunst“, heute aber beherrsche Billigproduktion den Markt.
Textilkünstlerin Vesna. Foto: Hannes Reisinger
Sie richtete einen Appell an die Jugend, die handwerkliche Arbeit wieder mehr zu fördern. Die alten Techniken müssten wieder gelehrt werden und die „explodierende Kreativität“ der Jugend dürfe nicht kaputtgemacht werden. Beispiele dieser Kreativität der nachfolgenden Generationen zeigten die von den Tagesverantwortlichen Jana Zoglauer Vinšová und Michael Zoglauer eingeladenen Textilkünstlerinnen.
Die Dreigenerationengeschichte: Katharina Keznickl in memoriam Gertrude Keznickl mit Jana Zoglauer Vinšová. Foto: Hannes Reisinger
Eine bewegende Geschichte über drei Generationen hinweg erzählte Katharina Keznickl, die ein Atelier für Mode, Kunst und Kunsthandwerk im Waldviertel betreibt. Ihre Mutter Gertrude, die ebenso wie Vesna die Akademie für Angewandte Kunst absolvierte, fand 1945 einen Fallschirm und stellte daraus vier Seidenkleider her. Das Pikante am Material war, dass die deutsche Wehrmacht erfolglos versucht hatte, selbst Fallschirmseide herzustellen und deshalb diese aus Fernost bezog.
Mit Kunst Mief der Wehrmacht entfernt
Sie habe diese Kleider restauriert, eins konnte in der Ausstellung bewundert werden. In dritter Generation kam Tochter „Luna“ von der Künstlergruppe „Artcartel“ ins Spiel, ebenso Textil- und Graffiti-Künstlerin, die Projektionen auf dieses alte Kleid fertigte. „Wir hoffen, damit den Mief der Wehrmacht aus den Kleidern herauszubekommen“, sagte Katharina Keznickl.
Alle Models mit Natálie Faltýnová und Jiřina Pivoňková vom Atelier Košilela. Foto: Hannes Reisinger
Mit einer ganz frischen Brise wartete danach das Atelier Košilela aus Prag auf. Wiederum zwei Generationen, Mutter und Tochter Natálie Faltýnová und Jiřina Pivoňková stellen Kleidung aus natürlichen Materialien her. Ihre Mode wurzelt in der tschechischen Volkstradition und ist vom Hemd abgeleitet (Košile = Hemd).
Die Präsentation der Männerhemden trug zur Heiterkeit bei. Foto: Hannes Reisinger
In der nachmittäglichen Sonne war die Modenschau ein Höhepunkt des Thementages. Heiter und beschwingt zeigten weibliche und männliche Models ganz unterschiedlichen Alters tragbare und auch ausgefallene Mode, die das Publikum begeisterte.
Ensemble Mirtilli Suonanti. Foto: Hannes Reisinger
Der Tag klang mit Musik von Frauen, die trotz widriger Umstände in der Männerwelt vom Mittelalter bis zum Barock komponierten, von Frauen gespielt, aus. Maria Posch, Romina Mayer und Dana Memioglu bilden das Ensemble Mirtilli Suonanti, was Klingende Heidelbeeren bedeutet.