Theater Workshop

Die Liebe zum Theater

Die Theaterbühne – für viele ein Traum. Auch für unsere Autorin. Foto: Pixabay

Reportage

Die eigenen Grenzen überwinden. Wildfremden Menschen Seiten von sich zeigen, die man sonst für sich behält. In den tiefsten Tiefen der Seele wühlen, um die wahre Emotion freisetzen zu können. Das alles sollte ein guter Schauspieler können, so habe ich es in einem Theaterworkshop gelernt. Eine Erfahrung, die mich nachdrücklich beeinflusst und bewegt hat.

Wir liegen uns in den Armen. Weinen beide stumme Tränen der Trauer. Über was wir jeweils so unsäglich traurig sind, sagen wir uns nicht. Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht derselbe Grund. Denn eigentlich kennen wir uns gar nicht, jedenfalls nicht so gut, dass wir gemeinsam über etwas trauern könnten. Aber wir haben die vergangenen acht Stunden miteinander verbracht und uns Seiten voneinander gezeigt, die wir uns nach einer normalen Begegnung wohl bestimmt nicht offenbart hätten. Die Frau in meinem Arm ist für mich eine Fremde, doch in diesem Moment meinem Herzen so nahe, wie lange niemand mehr.

Die Lust am Theater

Das oben beschriebene ist der letzte Akt, die finale Szene eines emotionalen Tages, der noch lange in mir nachwirken wird. Als ich mich für den Theaterworkshop des Irschenberger Spielleiters und Theaterspielers Sepp Grundbacher angemeldet habe, war ich voller Neugier und Freude.

Lesetipp: „Die Hinrichtung“: absurd, grotesk und valentinesk

Endlich konnte ich meiner so lange unterdrückten Lust am Schauspiel nachgehen. Um das gleich vorab zu sagen, dies war keine negative Erfahrung für mich. Ganz im Gegenteil. Doch ich hätte nie erwartet, welche Wucht von Erinnerungen und Emotionen mich an diesem Tag ereilen würde. Laut Sepp Grundbacher habe ich damit wohl alles richtig gemacht.

Theater Schauspielerin
Die eigenen Emotionen und Erinnerungen verbinden sich auf der Theaterbühne. Foto: Pixabay

„Theater ist das eigene Leben auf die Bühne gebracht“, sagt der Spielleiter des Irschenberger Theaters. Ein guter Schauspieler schöpft in jeder Rolle aus seiner Lebenserfahrung. „Man füllt sich eine Art Werkzeugkoffer mit allen Emotionen, Erlebnissen und Bildern, die man dann in den jeweiligen Szenen herauszieht und nutzt.“

Ich wage zu behaupten, mein Werkzeugkoffer ist für meine 32 Jahre schon recht voll. Es wären also genug Utensilien vorhanden, die ich in den verschiedenen Rollen nutzen kann. Diese jedoch in den Tiefen des seelischen Koffers zu finden und im richtigen Moment hervorzuholen, das ist die Schwierigkeit. So verwundert es nicht, dass meine drei Mitstreiter und ich in den ersten Übungen noch etwas verhalten vorgehen.

Das glauben, was man sagt

Ich stehe einer der Teilnehmerinnen gegenüber. „Ja“, sagt sie in meine Richtung. „Nein“, erklingt es aus meinem Mund. So geht das hin und her. Hin und her. Über zwei Minuten lang. Nur Ja und Nein, in verschiedenen Tonlagen, Intensitäten und zuweilen von verrückten Mimiken begleitet. Wir versuchen einander zu überzeugen, nur durch die Art, wie wir dieses Wort sagen. Bis der andere einknickt. „Das Wichtigste beim Theaterspielen ist es, dass wir glauben, was wir sagen. Tun wir das nicht, kommt überhaupt gar nichts beim Publikum an“, erklärt uns Sepp Grundbacher den Sinn dieser Übung.

Selten habe ich so standhaft auf mein Nein bestanden. An wen ich dabei vor meinem inneren Auge denke, ist für den Workshopleiter unwichtig. Hauptsache ich bleibe standhaft. Auch, als plötzlich die anderen beiden Teilnehmer auf mich einreden und zu guter Letzt auch noch der Spielleiter. Alle wollen mich von meinem Nein abbringen. Doch keine Chance. „Sie rückt keinen Meter von ihrem Nein ab. Sehr gut gemacht.“ Ich bin stolz und überrascht von mir selbst, denn ein Nein ist bei mir in vielen Fällen in meinem Leben bisher ein halbes Ja gewesen. Bis jetzt.

Theater ist nackt machen

„Theaterspielen gibt einem so viel, da kann man sich einiges mit ins reale Leben mitnehmen“, ist er überzeugt. Dass er mit diesem Satz so recht hat, werde ich erst am Abend dieses Workshoptages so richtig verstehen. Im Umgang mit anderen Menschen, nehmen wir im realen Leben immer wieder verschiedene Machtpositionen ein. Das wurde uns mit einer weiteren Übung verdeutlicht. Typische Szene in einem Restaurant: Einem Gast ist das Essen zu kalt, der Kellner wird angeraunzt, dieser bringt den Teller in die Küche, beschwert sich beim Koch, welcher wiederum die Küchenhilfe für den Fehler verantwortlich macht. Improvisierend nehmen wir alle die verschiedenen Rollen ein und begeben uns damit auch in die verschiedenen Machtpositionen.

Theater Masken
Beim Theaterspielen fallen die Masken. Foto: Pixabay

Dabei fällt auf, wem es leichter fällt, der Beschwerdegeber oder der Beschwerdeempfänger zu sein. „Da spielt sehr viel unsere eigene Position im Leben mit rein und wie wir aufgewachsen sind“, erklärt der Irschenberger. Jede der Theaterübungen bringt uns an persönliche Grenzen, die wir auch in unserem realen Leben immer wieder zu spüren bekommen. Und mit jeder Übung fällt die Scham gegenüber den anderen. Schon nach wenigen Stunden haben wir Teilnehmer uns mehr voneinander gezeigt, als wir das mit anderen uns Fremden jemals tun würden. Doch das macht Schauspiel aus. „Theater ist nackt machen und die Maske fallen lassen“, sagt der Spielleiter.

Schweißausbrüche und Gänsehaut

Mit der Zeit wird es leichter, auf die Emotionen und Bilder im eigenen Werkzeugkoffer zurück zu greifen. Auch wenn sich diese manchmal so ähnlich sind, dass es einem schwer fällt zu 100 Prozent wütend oder traurig zu sein. Sepp Grundbacher sieht und spürt den Unterschied jedoch genau. „Sag den Satz nochmal, erinnere dich an etwas wirklich trauriges“, sagt er mir. Ich schließe die Augen, krame in den traurigsten Erinnerungen, halte eine fest. Mir schnürt es förmlich die Kehle zu. Ich öffne die Augen und spreche. „Den Unterschied hast du selbst gespürt oder?“ Ich nicke stumm.

Ich bin total fasziniert und erstaunt, was mit scheinbar einfachen Übungen alles geht. Und ich bin angefixt. Genauso habe ich mir das Theaterspielen vorgestellt. Es geht durch Mark und Bein, überzieht meinen Körper im Wechsel mit Schweißausbrüchen und Gänsehaut, bringt mich zum Schreien, zum Lachen, zum Weinen. Meinen Mitstreitern geht es genauso.

Der richtige Text

Natürlich gehört auch den richtigen Text zum richtigen Moment sprechen dazu. Neben verschiedenen Methoden diesen mit Zahlen, Orten oder Bildern verknüpft auswendig zu lernen, stellt uns Sepp Grundbacher seine liebste Variante vor. In dieser spielen die Theaterschauspieler ihre Szene, ohne den Text zu können, nur mit Hilfe der Souffleuse. Diese spricht die jeweiligen Zeilen vor und der Schauspieler folgt ihr wenige Sekunden nach. So begeben wir uns in die letzte Übung des Workshoptages.

Der werfe den 1. Stein-PK
Maria Babl und Andreas Nirschl in „…der werfe den ersten Stein“. Foto: Petra Kurbjuhn

Wir spielen eine Szene aus dem Stück „…der werfe den ersten Stein!“, welches das Irschenberger Theater erstmals 2014 auf die Bühne brachte. Es stammt ursprünglich aus der Feder von Rudolf Pikola und wurde unter dem Titel „Drama aus unseren Tagen“ 1985 im Waitzinger Keller Miesbach uraufgeführt. Ein dramatisches Stück in fünf Akten, welches auf einer wahren Begebenheit beruht und von einer verbotenen Liebe im Krieg 1944 auf einem Bauernhof in Miesbach handelt.

Lesetipp: Wer will den Krieg und doch ist er da

Dramatisches Theaterstück

Der russische Kriegsgefangene Nikolai und die Bauerntochter Burgl verlieben sich darin, doch ihre Liebe ist nicht gewollt und so trennt sich Burgl auf dramatische Weise von ihrem Geliebten. Ich spiele zunächst Nikolai, der mit all seiner Wut und Verzweiflung fast erstickt. Wie schnell ich mich in seinen Gefühlen wiederfinde, den Raum, die anderen Personen und die Zeit vergesse und abrutsche in diese Geschichte, ist mir erst klar, als es plötzlich wieder ganz still ist. Nur langsam flaut die Wut in mir ab. Schauspielerwechsel. Eine nötige Pause für mich.

Lesetipp: „Wünsch dir alles und erwarte nichts“

Dann bin ich noch einmal dran, nun in der Rolle der Burgl. Wer kennt sie nicht, die verwehrte Liebe, die übermannende Trauer, die Wut über Ungerechtigkeiten? Doch diese Gefühle alle zusammen in diesen wenigen Minuten hervorzuholen und einen durchfluten zu lassen, das ist überwältigend. Am Ende fallen wir uns in die Arme, weinen und trauern, zeigen unseren Schmerz. Ich denke beim Schreiben dieser Zeilen noch immer mit Gänsehaut am Körper an diesen Moment zurück. Mit einer Menge Wissen und Erfahrungen ging ich nach diesem Workshoptag nach Hause und spüre es nun deutlicher als je zuvor: Die Leidenschaft für das Theater lodert in mir und möchte ausgelebt werden.

Gefällt Ihnen dieser Beitrag? Bitte besuchen Sie uns auf