Berührend und berauschend: „Die Schöpfung“ von Haydn
Dirigent, Komponist und Pianist Timm Tzschaschel erklärt Haydns Schöpfungsoratorium. Foto: Ines Wagner
Vortrag in Bad Wiessee
Joseph Haydns Schöpfungsoratorium noch besser genießen? Eine Einstimmung auf das Konzert gab Pianist und Dirigent Timm Tzschaschel am Freitag in Bad Wiessee. Und das Publikum hörte die Schöpfung wie vermutlich nie zuvor.
In der Schule gab es noch den Musikunterricht, in dem der Musiklehrer die Werke detailliert vermittelte. Seitdem konsumieren wir, mehr oder weniger aufmerksam, mitgerissen, berieselt oder bewegt. Ob wie sie jemals richtig verstehen, bleibt zu bezweifeln.
Das Studium Generale der VHS Tegernseer Tal bietet eine besondere Veranstaltungsreihe mit Timm Tzschaschel. Wenn man bedenkt, was der am Schliersee lebende Komponist, Pianist, Dirigent und Konzertmeister des Symphonieorchesters Bangkok alles unter einen Hut bringt, ist umso erstaunlicher, dass er auch dafür noch die Zeit aufbringt. Es ist ihm ein Herzensanliegen. Und er tut es mit einer Begeisterung, die ansteckt.
Es stand kein Klavier zur Verfügung sonst hätte er er ein paar Passagen angespielt. Aber das machte nichts. Timm Tzschaschel hatte die entsprechende Technik dabei und spielte Passagen aus dem Schöpfungsoratorium vor: Aufnahmen, dirigiert von Karajan aus dem Jahr 1975 bei den Salzburger Festspielen mit hochkarätiger Besetzung.
Genesis und „Paradise lost“
Mit der Schöpfung griff Joseph Haydn 1796 bis 1798 ein elementares Thema auf. Der gefeierte Komponist war gerade aus London zurückgekehrt, wo er Aufführungen von Händels Oratorien erlebt hatte. In ihm war der Impuls gereift, auch etwas derartiges zu schaffen, erklärt Tzschaschel. Dafür war eine wichtige Voraussetzung eine inspirierende Textvorlage.
Die fand Haydn neben der Genesis im ersten Buch Mose der Bibel im epischen Gedicht „Paradise lost“ des englischen Dichters John Milton. Der Komponist schuf ein dreiteiliges Stück der Schöpfung, in dessen letzten Teil, am Siebten Tag, als alles getan war, Adam und Eva erscheinen.
Erzengel Uriel, Gabriel und Raphael
Dabei bediente er sich verschiedener Elemente, die Timm Tzschaschel mit großer Begeisterung erläuterte: Die Geschichte selbst wird in „Rezitativform“ erzählt, nur vom Cembalo begleitet. Dazu kommen die vom Orchester begleitete Erzählung, das „Rezitativo accompagnato“, und die Chöre. Der Genisis nach Mose hat Haydn 3 Solisten in der Erscheinung der Erzengel Uriel, Gabriel und Raphael hinzugefügt. Ihre Liedpassagen entstanden aus dem Gedicht Miltons.
Schon die Overtüre ist eine Sensation, eine geniale Idee. Vor der Schöpfung steht das Chaos – Haydn setzt es in finsterer, dramatischer Zerrissenheit um, voller Dissonanzen. Ein „lautmalerisches Chaos“ nennt es Timm Tzschaschel. Das Chaos endet düster auf e-Moll. Das Licht läßt Haydn in C-Dur erscheinen. Der Tenor Uriel setzt ein „Im Anfange schuf Gott Himmel und Erde…“
Besonders Hören vermittelt
Es war ein großes Vergnügen, gemeinsam mit Timm Tzschaschel durch das Schöpfungsoratorium zu gehen. Ganz Ohr und voller Aufmerksamkeit. Der Schlierseer vermochte es, seine Zuhörer hineinzuziehen in die Lautmalerei Haydns, mit Gesten, zuweilen dirigierend, mit Gesang. Hat man so das Schöpfungsoratorium schon einmal gehört?
Gott schuf das Meer und Haydns musikalische Wellen wogen in imposanten Bögen. Hügel und Felsen entstehen, während die Musik in Zacken steigt und fällt. Der erste Sonnenaufgang – Haydn schuf ihn mit „einfachen Mitteln“: Die Sonne steigt langsam höher, Streicher und Streicher kommt hinzu, bis das volle Orchester einsetzt. Der Mond hingegen ist still berührend – „schleicht mit leisem Gang und sanftem Schimmer“, während die Sterne flimmern. Haydn leitete die Tonsprache aus einfachen optischen Wahrnehmungen der Natur ab. Er war zeitlebens ein großer Naturliebhaber.
Musikalische Rätsel
Daher verwendete er größte Sorgfalt auf Gottes Erschaffung der Tiere und gab seinen Zuhörern Rätsel auf, indem er zuerst den Ton der Tiere anspielte, erst danach das Tier selbst. Walfisch und Adler, selbst das Gewürm, alles ist genau zu hören, wenn jemand wie Timm Tzschaschel die Zuhörer bei der Hand und an den Ohen nimmt.
„Wie komponiert man die Ewigkeit?“, fragte Timm Tzschaschel in die Runde der Musikliebhaber. Haydn ließ seinen Chor eine Ewigkeit lang auf dem E verharren. Auf fesselnde, humorvolle und mitreißende Art führte der Dirigent durch das Oratorium. Seine Begeisterung war ansteckend. Das Werk berührte durch das neu gelernte Hören weitaus mehr, als bisher gewohnt.
Vorfreude geweckt
Jetzt dürfen wir uns mit allen Liebhabern klassischer Musik auf den 26. Dezember freuen. Dann wird 17 Uhr „Die Schöpfung“ in der Katholischen Pfarrkirche St. Quirinus, der ehemaligen Klosterkirche in Tegernsee unter Leitung von Dirigent Sebastian Schober aufgeführt.
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