Fotografie trifft Wissenschaft in Agatharied
Tom Kintscher im Krankenhaus Agatharied. Für die „Drei Boote auf dem See“ wurde der Künstler mit dem Lürzers Award „200 Best Advertising Photographers worldwide“ 2016/17 ausgezeichnet. Foto: Monika Ziegler
Ein QR-Code bildet die digitale Brücke zwischen dem Fotografen und den Betrachtern seiner Bilder. Für den Rosenheimer Künstler Tom Kintscher ein neuer Weg der Kontaktaufnahme. Dabei geht es nicht um ein: „Mag ich“ oder eben „Gefällt mir nicht“ als Reaktion. Dahinter steckt viel mehr.
Fotografie-Ausstellung Krankenhaus Agatharied
In Agatharied ist der mehrfach preisgekrönte Fotograf Tom Kintscher kein Unbekannter. Seit mehr als einem Jahrzehnt stellt er seine Werke im lokalen Kreiskrankenhaus aus. Seine aktuelle Ausstellung „Kunst und Gesundheit“ startete am 03. April und kann bis Ende Juni besucht werden. Einige seiner Arbeiten sind mit der Zeit zum festen Bestandteil der Klinik-Kultur geworden. Die großflächigen farbenreichen Fotografien gehören für Besucher, Patienten und Mitarbeiter schon fast zum Inventar. Auch in der Chefetage.
Mehrwert für Patienten, Besucher und Mitarbeiter
„Unser Krankenhaus ist in der Region stark verwurzelt, da freut es uns ganz besonders, auch mit Künstlern aus der Region zusammenarbeiten zu dürfen“, berichtet Benjamin Bartholdt, Vorstand der Klink in Agatharied. Entsprechend zur „besonders schönen Klinikimmobilie“ fördern, laut dem Mitarbeiter der Krankenhausleitung, ebenso die freundlichen und farbenfrohen Bilder den positiven Charakter der Einrichtung. Patienten, Mitarbeiter und Besucher werden so, wie Benjamin Bartholdt betont, vom nicht immer einfachen Klinikalltag ablenkt und auf andere Gedanken gebracht.
Ein „Mohnfeld“ zum Verlieren. Foto: Tom Kintscher
Überhaupt scheint die Beziehung zwischen dem Rosenheimer Fotokünstler und der Institution Krankenhaus eine beidseits befruchtende zu sein. „Ich bin immer wieder erstaunt, welche Reaktion ich über die Jahre bei meinen Ausstellungen in Agatharied erhalten habe.“ Besonders groß sei das Interesse bei Patienten und den Ärzten. Nicht wenige haben Werke von ihm in die eigenen Wände mitgenommen. Was den Künstler in Tom Kintscher freut.
Als Künstler neu erfunden
Eigentlich stand der Fotograf zu Anfang der 2020er-Jahre vor zwei großen Ausstellungen in München und am Bodensee. Beide wurden allerdings im Zuge der sich ausbreitenden Pandemie abgesagt. „Diese Entwicklung war wirklich höchst enttäuschend“, gesteht der Rosenheimer. Was dann geblieben sei, war „Tote Hose“, wie es der Künstler drastisch, aber mit einem Schmunzeln beschreibt.
Doch habe er die viele freie Zeit dann produktiv allein mit seinen Kameras genutzt. Besonders unter dem Aspekt der „Neuroästhetik“ habe er seine Arbeit weiterentwickelt. Dabei habe ihn besonders der aktive Austausch mit Therapeuten, Ärzten und Patienten über die Wirkung von Farben und Harmonie in der Bildgestaltung zu einem ganz neuen Denken inspiriert. „Der Mensch hat schon immer im Fokus meiner künstlerischen Arbeit gestanden“, stellt Tom Kintscher fest. Doch das neue Wissen, welche Wirkung seine Fotografien in den Menschen konkret auslöse und so laut der Spezialisten den Heilungsprozess unterstütze, habe sein Interesse an den Prozessen im Hintergrund geweckt. „Es ist fast so, als hätte ich mich als Künstler neu empfunden“, lässt der Fotograf lächelnd wissen.
Tom Kintschers Fotos bewegen Patienten
Warum gerade seine Bilder solch eine besondere positive Reaktion bei den Patienten hervorrufen, erklärt sich der Fotograf so: Seine Fotografien zeigen das komplette Spektrum der Regenbogenfarben – primäre wie sekundäre Farben. Je nach Einsatz werde so „eine beruhigende, stimmungsaufhellende, aktivierende, beruhigende oder auch harmonisierende Wirkung“ beim Betrachter ausgelöst. Das wirke sich, so der Künstler weiter, nach den Regeln der Neuroästhetik direkt auf Soma und Psyche der Patienten aus. Hinzu spiele die Bildkomposition nach den Regeln des Goldenen Schnitts bei seinen Fotografien eine weitere entscheidende Rolle.
Aufregende Naturaufnahme. Foto: Tom Kintscher
Bei seiner aktuellen Ausstellung in Agatharied arbeitet der Fotograf mit einer „Feedback-Aktion“ direkt über einen QR-Code. Nach dem Scannen des Codes erhalte der Betrachter die Möglichkeit, unkompliziert und direkt seine Bewertung zu der Bildwirkung mitzuteilen. „Sie glauben gar nicht, wie viele Menschen schon an dieser Umfrage teilgenommen haben“, verrät der Fotograf begeistert im Gespräch. Das Ergebnis bestätige ihn auf seinem neuen künstlerischen Weg.
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Zugegeben ist die Neuroästhetik noch ein sehr junges und durchaus umstrittenes wissenschaftliches Forschungsgebiet. Gestärkt durch das Feedback der Mediziner und der Patienten, beabsichtigt Tom Kintscher die Zusammenarbeit mit Krankenhäusern und Experten weiter zu intensivieren. Geplant sind weitere Ausstellungen in therapeutischen und medizinischen Einrichtungen.
Was kann Kunst bewirken?
In Agatharied schätzt man die Zusammenarbeit mit dem Rosenheimer Fotografen außerordentlich, wie Benjamin Bartholdt bestätigt. In die wissenschaftliche Diskussion zur heilenden Wirkung von Kunst rund um die neuen „Erkenntnisse der Neuroästhetik“ will sich der Vorstand des Kreiskrankenhauses auf Nachfrage nicht unbedingt einbringen: „Ich bin zumindest überzeugt, dass die Psyche des Menschen essenziell ist. Unser Wohlbefinden, unsere Gefühlswelt und ein starker Wille können den Genesungsprozess sicher beeinflussen – positiv wie negativ.“
Der Moment, in dem aus einem einfachen Gartentisch ein Tisch in einer verwunschenen, geheimnisvollen Umgebung wird. Foto: Tom Kintscher
So bleibt es wohl dem einzelnen Betrachter überlassen, welche Wirkung die beeindruckenden Naturaufnahmen, Makrofotografien und die Lichtmalereien des Künstlers auf die eigene Psyche auslösen. Gelegenheit für den spannenden Selbstversuch besteht noch bis zum Ende Juni in den Fluren des Krankenhauses und in der Cafeteria in Agatharied.