Der kleine Unterschied
Tomi Ungerer – Unveröffentlichte Zeichnung für „The Party“ (Ausschnitt). Foto: Tomi Ungerer
Ausstellung in Tegernsee
Dass der kleine Unterschied oft unüberwindlich ist, überspitzt der französische Karikaturist und Zeichner Tomi Ungerer köstlich. Meist hat Frau die Hosen an, aber eben nicht immer. Das Olaf Gulbransson Museum zeigt jetzt mit der gleichnamigen Ausstellung den ewigen Kampf der Geschlechter als Exempel für die Gesellschaft.
Die Ausstellung war schon lange angedacht und jetzt konnte sie endlich umgesetzt werden – in Zusammenarbeit mit dem Musée Tomi Ungerer – Centre International de l‘Illustration, Musées de la Ville de Strasbourg. Wie kommt nun ein französischer Zeichner, Illustrator und Karikaturist nach Tegernsee? Es ist ganz einfach erklärt. Jean-Thomas Ungerer alias Tomi, geboren 1931 in Straßburg, machte schon in seiner Kindheit in der Bibliothek seines Vaters Bekanntschaft mit dem Simplicissimus. In seiner Jugend veröffentlichte er Zeichnungen in der von Olaf Iversen wiederbelebten satirischen Wochenzeitschrift und heute gilt er als der zeitgenössische Satiriker, Karikaturist und Schriftsteller schlechthin, der auf der ganzen Welt berühmt ist. Sechzig Jahre nach dem Tod von Olaf Gulbransson ist es nun an der Zeit für diese außergewöhnliche Ausstellung.
Blick aufs Detail lohnt sich
Insgesamt 78 Originalzeichnungen aus 34 Jahren Schaffens sowie einige Plakate sind von Strasbourg nach Tegernsee verschickt worden. Nach den farbenprächtigen Bildern Emil Noldes und Herbert Becks nimmt nun wieder eine auf den ersten Blick eher unichrome Ausstellung den Platz ein. Ein zweiter Blick lohnt sich. Denn erst in der Nähe entfalten die subtilen Zeichnungen und Karikaturen ihren manchmal bösen, manchmal neckigen, eher aber pikanten, frech-frivolen Strich.
In Tomi Ungerers Welt stricken Frauen sich aus dem alten einfach einen neuen Mann. Foto: Tomi Ungerer, Diogenes Verlag AG Zürich
Tomi Ungerer erklärt den Betrachtern die menschliche Gesellschaft am Beispiel von Mann und Frau – und wirft einen besonders satirischen Blick auf die Ehe. Der ewige Kampf der Geschlechter bis hin zum aufkommenden Feminismus, quasi von Simone de Beauvoirs bis Alice Schwarzer, wurde für Unger zur künstlerischen Fundgrube. Man hat ihn dafür nicht immer geliebt. Würde man sein Werk nur einseitig betrachten, man könnte ihm tatsächlich Sexismus vorwerfen. Aber er verteilt gleichmäßig Seitenhiebe und lässt auch an den Männern im ewigen Kampf um den kleinen Unterschied nichts Gutes. Unterm Strich hat schließlich die Frau mehrheitlich die Hosen an – buchstäblich, wenn auch sonst nichts.
Das große Kräfteringen
Die große Walküre trägt ihr kleines Ehemännchen über die Schwelle, im Boxring treibt sie den zimperlichen Ängstling in die Ecke. Taugt der Mann nichts mehr, wird er wie ein Luftballon aufgeblasen und gen Himmel verschickt – oder aber sie strickt sich ganz einfach aus dem alten einen neuen Mann. Die Frau hingegen wird oft als „Gebrauchsgegenstand“ gezeigt, als Lustobjekt oder Spielzeug.
Frau als Gebrauchsgegenstand – aus „The Underground Sketchbook of Tomi Ungerer“. Foto: Diogenes Verlag AG Zürich
„Ich musste erst ein Frauenfeind werden, um die Frauen zu schätzen und zu respektieren“, lässt Tomi Ungerer in „Die Hölle ist das Paradies des Teufels. Gedanken und Notizen“ verlauten. Dass er stattdessen ganz klar ein Frauenliebhaber ist, wird aus seinen zahlreichen satirischen und erotischen Zeichnungen ersichtlich. Er dringt tief in das Privateste ein, stilisiert, verfremdet, überhöht und erniedrigt. Ein Schuss Erotik, eine Portion Sado-Maso, ein Quentchen Feminismus und viel Ironie schwingt in den Zeichnungen.
Humoriges Faible für Technik offensichtlich
Spannend ist auch sein Faible für Technik, dass er vom Vater, einem Erbauer astronomischer Uhren, mit auf den Weg bekommen hat. Man-Frau-Steckdose sind immer wieder auf seltsame Art miteinander verkabelt. Es lohnt ein Blick auf die feinen Details, die den kleinen Unterschied ausmachen – und auch manchmal ausbügeln.
Tomi Ungerer – Werbeposter für The Electric Circus. Foto: Diogenes Verlag AG Zürich
Sein „Liederliches Liederbuch“ und die „Liederlichen Liederskizzen“ sind gespickt mit erotischen Fantasien. Das „Underground Sketchbook“, das im Jahr 1964 entstand, war indes sein erstes geheimes Satirebuch, in dem der Kampf zwischen Männern und Frauen, zwischen Männern unter sich und der Kampf der Maschinen tobte. Das geheime Skizzenbuch entstand parallel zu seinen beliebten Kinderbüchern. Als die feine New Yorker Gesellschaft, die ihn feierte, bemerkte, dass sie Ziel seiner Sozialstudien und Satiren wurde, war es um die Gunst alsbald geschehen. Seine Kinderbücher wurden aus Museen und Buchhandlungen genommen. Ungerer blieb davon unbeirrt und ließ sich nicht verbiegen. Er zeigte konsequent und bitterböse die Entfremdung der Gesellschaft am Beispiel der Entfremdung von Mann und Frau.
Enfant Terrible im Gulbransson Museum
Tomi Ungerer in Tegernsee: Als Enfant Terrible setzte er den Geist des Simplicissimus fort, indem er die Dummheit, Misanthropie, Prüderie und Frömmigkeit aufs Korn nimmt – in jungen Jahren bereits und heute immer noch. Doch Tomi Ungerer ist nicht nur ein Karikaturist und Satiriker, der in den Wunden der Gesellschaft bohrt. Seit Jahren engagiert er sich für den Deutsch-Französischen Dialog, gegen Rassismus und für den Tierschutz. Er ist Träger des Verdienstkreuzes 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland.