Venedig im Schnee und im Plastikfieber
Premiere mit „Venedig im Schnee“: das Ensemble Peripher. Foto: Jürgen Haury
Theaterpremiere in Holzkirchen
Spritzig und unglaublich witzig kommt sie im Holzkirchner FoolsTheater daher, die französische Gesellschaftssatire „Venedig im Schnee“ von Gilles Dyrek. Das Ensemble Peripher bringt das Stück mit mehr als einem Augenzwinkern und großer Spielfreude auf die Bühne. Zwei Paare treffen sich zum Abendessen. Da sollte doch eigentlich alles gepflegt und konventionell zugehen. Aber weit gefehlt.
Beim Hereinkommen beschleicht den Besucher im ausverkauften FoolsTheater das Gefühl, das Bühnenbild sei noch nicht fertig. Überall Umzugskartons, Plastikfolie an Wänden und Decke, Verpackungs- und Luftpolsterfolie liegen auf der Bühne verstreut. In der Mitte ein Tisch aus festem Karton mit einer stattlichen Menge an Playmobilfiguren auf einem Tablett. Wir befinden uns in der Pariser Wohnung von Nathalie und Jean-Luc.
Besuch ist angesagt
Die beiden sind sehr verliebt. Chouchou hin, Chouchou her. Antje Hobucher in rosa-lila Kleidung spielt ihre Rolle als Nathalie sehr aufgedreht und geradezu überschäumend vor Glück. Ihr Verlobter Jean-Luc, hinreißend dargestellt von Martin Dudeck, glänzt in lila-blauer Kluft. Fröhlich schwärmt er von der schönsten aller Chouchous, seiner Nathalie, die er bald zu ehelichen gedenkt. Deshalb steht die Playmobilansammlung als Tischordnung für die Hochzeit bereit. Mehr als 144 Gäste sind schon platziert.
Antje Hobucher und Martin Dudeck. Foto: Jürgen Haury
Nun gilt es in dem vom Umbau zugemüllten Wohnzimmer auch irgendwo ein Plätzchen für die Gäste zu finden. Jean-Luc hat nämlich seinen alten Studienfreund Christophe wieder getroffen und ihn mit seiner neuen Freundin zu sich nach Hause eingeladen. Schwer tun sich die beiden Ankömmlinge, bis sie den Eingang finden. Aber jetzt sind Christophe (Frank Piotraschke) und Patricia (Lydia Starkulla), beide blau-grün gewandet, angekommen. Christophe hat für die Dame des Hauses sogar eine Blume dabei, aus Plastik wohlgemerkt. Wie auch alle anderen Requisiten dieser Inszenierung von Frank Piotraschke und Lydia Starkulla den Charme von Plastik und Styropor atmen.
Lesetipp: Die Tür nebenan
Sie versteht es nicht
Man beschnuppert sich. Hektisch rennen Jean-Luc und Nathalie vor und zurück, rutschen über und durch die Plastikvorhänge und Bodenbeläge, stolpern über die Kartons, um ihren Hausstand zu suchen. Patricia möchte am liebsten sofort wieder weg. Sie hat sich vorgenommen, kein Wort zu sprechen. Lydia Starkulla zeigt eine widerborstige, griesgrämige, lustlose und gelangweilte Frau, die den Frust über ihre Beziehung intensiv auslebt. Sie rollt mit den Augen und lässt die Mundwinkel hängen. So sehr sich Christophe auch bemüht, sie bleibt biestig. „Wenn ich bleibe, wird das die Hölle für dich“, zischt sie ihm zu. Man trinkt Portwein aus Portugal und versucht eine Unterhaltung. Schließlich hat Nathalie die Erkenntnis: „Sie ist so seltsam. Sie wird eine Ausländerin sein.“
Lydia Starkulla und Frank Piotraschke. Foto: Jürgen Haury
Nun nimmt das Stück noch mehr Fahrt auf. Zum Schreien komisch sind die Versuche von Jean-Luc und Nathalie, mit Patricia ins Gespräch zu kommen. Das Publikum biegt sich vor Lachen. Und Patricia scheint geradezu aufzutauen, als sie unverständlich in einer Fantasiesprache antwortet. Jetzt hat sie den Dreh gefunden. Sie spricht „chouvenisch“, eine ganz besondere Sprache im ehemaligen Jugoslawien.
Helfen und Krisen bewältigen
Als nun bei den Gastgebern klar ist, dass die junge Frau eine Migrantin ist, brechen sich Spendenfreudigkeit, Hilfsbereitschaft und Krisenbewältigung Bahn. Was kann man denn noch alles im Hausstand finden, das es wert ist, für das leidende Chouvenien gespendet zu werden? Und so werden die Gäste, sehr zur sichtbaren Freude der immer fordernder werdenden Patricia, etwa mit Decken (Luftpolsterfolie) und Pullovern (Plastikfolie) ausgestattet, bis es zum titelgebenden „Venedig im Schnee“ kommt. Es herrschen Harmoniesehnsucht auf allen Seiten und der Versuch, über jedwede Probleme und unterschiedliche Lebensweisen hinwegzusehen. Ob das gutgehen kann? Sehen Sie selbst.
Luftpolsterfolie, Plastik und Umzugskartons dienen als Bühnenbild und Requisiten. Foto: Jürgen Haury
Das Premierenpublikum jedenfalls hatte seine helle Freude an diesem schwungvollen Stück und der flotten, ideenreichen Inszenierung mit immer wieder überraschenden Momenten und belohnte das Ensemble Peripher mit langanhaltendem, begeistertem Applaus.