Wozu Vergänglichkeit?
Neuerscheinung auf dem Buchmarkt
Das fragt Corina Caduff in 11 Gesprächen, die sie mit namhaften Wissenschaftler unterschiedlicher Fachgebiete geführt hat. Dabei entstand ein vielschichtiger und äußerst optimistischer Überblick über ein Thema, das ansonsten eher totgeschwiegen wird.
Heute redet man viel lieber über Unsterblichkeit und ewige Jugend, als dass Falten, Hinfälligkeit und letztlich Sterben und Tod thematisiert werden. So ist das eben im Kadmosverlag Berlin erschienene Buch der Schweizer Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Corina Caduff ein unverzichtbarer Beitrag in der jetzigen Debatte.
Vergänglichkeit macht erfinderisch
Die Professorin an der Züricher Hochschule der Künste hat in elf Interviews die Vergänglichkeit zu etwas Lebendigem gemacht, zu etwas, das den Menschen zu neuen Leistungen antreibt, Innovation garantiert und erfinderisch macht. So ist es als Einladung auf dem Buchrücken zu lesen und so erfährt es der Leser.
Prof. Dr. Corina Caduff. Foto: privat
Der Wunsch des Menschen, seine eigene Endlichkeit zu transzendieren sei der Impuls sich in Kunst, Wissenschaft, Politik, Umweltschutz oder anderen Bereichen zu engagieren und letztlich mit seinem Schaffen unsterblich zu werden.
Bhikku Anãlayo ist nicht nur Wissenschaftler sondern auch buddhistischer Mönch. Als er als junger Mann erfuhr, dass er nur noch kurze Zeit zu leben hat, was sich später als Fehldiagnose herausstellte, fand er im Buddhismus, also Einsicht in die Dinge, wie sie wirklich sind, seine Spur. Jeden Abend, so erzählt er, durchlebe er die Sterbephasen meditativ und bereite sich damit auf einen guten Tod vor, der nur den Körper, nicht aber das Bewusstsein betreffe.
Altern muss nicht Gebrechlichkeit bedeuten
Als Dermatologin ist Christiane Bayerl täglich mit Vergänglichkeit der Haut konfrontiert. Dabei befasst sich sich sowohl mit der Behandlung von Hautkrebs als auch mit den Möglichkeiten der Hautstraffung und erzählt freimütig, auch sich selbst Botox zu spritzen. Die Biologin Annette Baudisch befasst sich mit Pflanzen und Tieren, die offensichtlich im Alter eine höhere Überlebensrate haben als in der Jugend. Altern muss also nicht mit Gebrechlichkeit einhergehen. Inwiefern diese Beobachtungen auf den Menschen zu übertragen sind, ob man gesünder altern und länger leben, das sind die offenen Fragen, die auch ethische Probleme aufwerfen.
Abschied ist emotionale Arbeit
Dominique de Quervain ist Neurowissenschaftler. Er hat herausgefunden, dass Cortisol das Gedächtnis hemmt und damit wirksam bei Traumata oder Phobien eingesetzt werden könnte. Für ihn ist das Vergessen eine Art der Vergänglichkeit. Wie der Mensch stirbt, darüber reflektiert Heike Gudat Keller. Die Palliativmedizinerin leitet ein Hospiz bei Basel und ist täglich mit dem Tod befasst. Als emotionale Arbeit beschreibt sie den Abschied, und auch wie wichtig Gespräche am Lebensende sind. In diesem Interview geht es auch um den assistierten Suizid, den die Ärztin als Alternative zur Palliative Care nicht prinzipiell ablehnt, sondern der Entscheidung den Patienten überlässt.
Für einen ökologischen Staat
Als Künstlerin und Pathologin hat sich Teresa Margolles der Arbeit am Leichnam verschrieben. Sie will insbesondere ermordete Personen vor dem Vergessen bewahren und verwendet für ihre Werke Materialien, die mit dem Leichnam in Berührung kamen. So reinigte sie den Boden in den Straßen von Dallas, wo Polizisten ermordet worden waren und benutzte dieses Wasser für Betontreppen, die Besucher der Biennale in Dallas betreten mussten.
Um das Sprachensterben geht es im Gespräch mit Nicholas Evans und um das Artensterben bei Ursula K. Heise. Dass unsere jetzige, nicht nachhaltige Lebensweise, vergänglich ist, sagt die Politikwissenschaftlerin Tine Stein. Sie plädiert für einen ökologischen Staat, in dem die Politik endlich eine Umstellung auf eine Volkswirtschaft mit nachhaltiger Produktionsweise und nachhaltigem Konsum, etwa über einen Ökologischen Rat vorantreibt.
Ewige Naturgesetze sind nicht vergänglich
„Die Kernspaltung ist eine zentrale Szene der Vergänglichkeit“, sagt der Ingenieur Johan Swahn, der sich mit der Auswirkung radioaktiver Strahlung auf den Organismus beschäftigt und das Problem des Atommülls und seiner ungeklärten Endlagerung thematisiert. Er spricht aber auch neue technologische Möglichkeiten, wie die Transmutation an, die die Halbwertszeit radioaktiver Nuklide verkürzen.
Was nicht der Vergänglichkeit anheim fällt, spricht der Astronom Aleks Scholz an, nämlich die ewigen Naturgesetze und die Fähigkeit der Menschen sie zu erkennen. Alles andere, Planeten und Menschen, Sterne und Sonnen, all das gehe kaputt, so sagt er. Ihm ist es wichtig, die Verbindung zwischen den Naturgesetzen und dem Sternenhimmel, so wie ihn der Laie sieht, wieder herzustellen und damit auch eine Verbindung zwischen Naturwissenschaft und Öffentlichkeit.
Vergänglichkeit als Wert
Wie es mit unserem Leben nach dem Tod weitergeht, darüber haben die Interviewpartner sehr unterschiedliche Vorstellungen. Was aber allen Gesprächen gemeinsam ist, das ist die Hervorhebung der Vergänglichkeit für unseren Umgang mit Welt und unser Sozialverhalten. Es lohnt sich in jedem Fall, sich des Themas anzunehmen. Das Buch von Corinna Caduff gibt eine hervorragende Einführung.