Müssen wir geschubst werden?
Professor Martin Kocher von der Universität Wien. Foto: Petra Kurbjuhn
Vortrag in Weissach
Warum bevorzugen Fußballschiedsrichter heimische Vereine? Warum klappt Organspende in Österreich, in Deutschland nicht? Warum lassen wir uns von Lockvogelangeboten verführen? Professor Dr. Martin Kocher gab beim Korbinians Kolleg schlüssige Antworten aus der Verhaltensökonomik.
Mit dem Wirtschaftswissenschaftler aus Wien hatte der Kurator der Reihe im Hotel Bachmaier Weissach, Professor Wilhelm Vossenkuhl, den bisher jüngsten Vortragenden an den Tegernsee geholt. Der Philosoph berichtet über die steile internationale Karriere Kochers, der nicht nur Wirtschaftswissenschaft, sondern auch Psychologie studiert hatte.
Professor Wilhelm Vossenkuhl und Professor Martin Kocher (v.l.). Foto: Petra Kurbjuhn
Heute verbindet der 46Jährige Theorie und Praxis und berät sowohl Regierungen als auch Unternehmen, wie Entscheidungen getroffen werden und wie dabei Verstand und Gefühl gleichermaßen eine Rolle spielen.
Die Verhaltensökonomik sei sein Steckenpferd, eröffnete Martin Kocher seinen Vortrag.
Was ist Linda?
Dabei gehe es darum zu verstehen, wie Entscheidungen getroffen werden. Er machte die Probe aufs Exempel mit dem Publikum und stellte die berühmte Frage von Daniel Kahneman, ob Linda eine schlichte Bankangestellte oder Bankangestellte und Feministin sei.
Vorher hatte er Linda als Philosophin, die sich für Gleichberechtigung und Gerechtigkeit einsetzt, sowie gegen Atomkraft demonstriert, vorgestellt. Mehrheitlich stimmte das Publikum für „Bankangestellte und Feministin“, was falsch war.
Auch in weiteren Beispielen bewies Kocher, dass der Mensch gezielt zu Entscheidungen gedrängt wird. Ob Lockvogelangebot oder ob relative Preise. Oder die Anwendung der Regel, dass der Mensch bei Verlusten risikofreudig, bei Gewinnen aber risikoscheu ist.
Professor Kocher lädt mit 20 Euro zu einem Spiel ein. Foto: Petra Kurbjuhn
Man sei, so führte der Verhaltensökonom aus, bisher vom homo oeconomicus ausgegangen, vom Menschen also, der rational und egoistisch entscheidet. Vom Menschen, der Kosten und Nutzen unabhängig von der Moral abwägt.
Die moderne Sicht aber sei, dass der Mensch Fehler mache, dass er sich verlocken lasse, sich nicht an Pläne halte und sogar altruistisch und moralisch entscheide.
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Im Labor untersuchten die Wissenschaftler das moralische Verhalten, insbesondere die Ehrlichkeit ihrer Probanden. Das erstaunliche Ergebnis dabei war, dass nur 30 bis 50 Prozent der Menschen unehrlich waren, wenn sie einzeln befragt wurden, in der Gruppe aber zu 90 Prozent logen. Der Vortragende begründete dies mit einer Normenerosion durch Argumentierungsaustausch. „Die Menschen sind einfallsreich im Umdeuten von moralischen Normen.“
Steuerung der Menschen durch Verhaltensökonomik
Welche Maßnahmen lassen sich aus der Verhaltensökonomik ableiten, um Menschen zu guten Entscheidungen zu bringen? Mit anderen Worten: sie zu steuern?
Selbstbindung und Nudging
Zum einen konkrete Anreize wie Belohnung oder Strafen, wobei Strafen weniger wirken, wichtiger aber erscheint die Selbstbindung, also der Vertrag mit sich selbst oder besser noch mit Freunden, beispielsweise mehr Sport zu treiben.
Ein moderner Ansatz von Richard Thaler ist die Gestaltung von Entscheidungsarchitektur, Nudging (Schubsen) genannt.
Was ist Nudging? Foto: Petra Kurbjuhn
Der US-Ökonom, so führte Martin Kocher auf, schlage mehrere Instrumentarien dazu vor: Sozial optimale Standards wie die Regel in Österreich, dass Menschen automatisch Organspender sind, wenn sie keinen Gegenausweis bei sich tragen, nutzen die Trägheit der Menschen aus, um ein gutes Ergebnis zu bekommen.
Reihenfolgeeffekte oder gezielte Informationen über einen Sachverhalt können Menschen ebenso in gewünschte Richtungen schubsen.
Nudging steuert Verhalten
Was ist zulässig? fragte der Vortragende, insbesondere in der Politik. Denn die genannten Anreize funktionierten perfekt, auch dann, wenn man sie kenne. Und schließlich gebe es keine neutrale Umwelt, wir würden ständig durch unterschiedliche Reize beeinflusst.
Grundlagen der Verhaltensökonomik verbessern
Man müsse die Grundlagen der Verhaltensökonomik verbessern, um die Regeln von Institutionen zu verbessern. Damit, so resümierte Wilhelm Vossenkuhl, sei das Nudging eine wunderbare Art Menschen dahin zu bringen wohin man sie haben wolle. Dem widersprach Martin Kocher, wenn das Nudging transparent sei, könne sich jeder auch dagegen entscheiden.
Schummelsoftware und AfD
In der lebhaften Diskussion kam beispielsweise das Thema Schummelsoftware bei VW zur Sprache, ein typisches Beispiel dafür, so Kocher, dass Menschen in der Gruppe lügen und ein geringeres Schuldbewusstsein hätten.
Ob man denn mit dem Wissen um das Nudging auch die Wahl rechtspopulistischer Parteien verhindern könne, wollte ein Frager wissen. „Wenn ich das wüsste“, musste der Verhaltensökonom passen. Aber hier gehe es doch eher um den Vertrauensverlust der anderen Parteien.
Was denn letztlich eine gute Entscheidung sei? Wenn die Zielfunktion erfüllt sei, sagte Kocher. Bei hoher Komplexität eines Sachverhaltes aber möge man seiner Intuition folgen.
Hotelchef und Initiator von Korbinians Kolleg Korbinian Kohler. Foto: Petra Kurbjuhn
Es sei eine gute Entscheidung gewesen, Professor Martin Kocher einzuladen, schloss Vossenkuhl die Veranstaltung und Hotelchef Korbinian Kohler überlegte bereits wie er die vorgeschlagenen Tricks in seinen Hotelbetrieb einbauen könne.