Verkehr

Her mit dem schönen Leben!

Public viewing auf dem Weyarner Rathausplatz. Foto: Marc Lünnemann

Sonntagskolumne

Blumen, Bäume, Sitzgelegenheiten, Blick auf den imposanten Weyarner Kirchturm. Der nördliche Rathausplatz in Weyarn ist ein ausnehmend schöner Platz, der vor ein paar Jahren im Rahmen der Dorferneuerung saniert und neu gepflastert wurde. Nur: Auf den Bänken sitzt nie jemand. Warum? Der Arbeitskreis Verkehr und Mobilität wollte es wissen.

Die Antwort auf das „warum?“ ist ganz einfach: Der Platz wird als Parkplatz genutzt. Bis zu dreißig PKW stehen hier nebeneinander. Die Besucher des Klostercafés, Kirchenbesucher, Anwohner, Gemeinde…es gibt viele Gründe, hier zu parken. Im Ergebnis ist der Platz dann eben ein Parkplatz. Mittendrin will hier niemand sitzen. Ein gewohntes Bild. Autos, die im öffentlichen Raum viel Platz in Anspruch nehmen.

Das Beispiel aus Weyarn ist ein beliebiges und könnte überall im Landkreis Miesbach sein. Miesbach, Holzkirchen, Tegernseer Tal…überall gibt es wunderschöne Zentren und Plätze, die aus den genannten Gründen nicht sichtbar sind und wenig Aufenthaltsqualität haben.

Verkehr
Normalzustand Foto: Anschi Hacklinger

Lebenswerte Plätze für Menschen

Weyarn ist Bürgerbeteiligungsgemeinde. Der Arbeitskreis Verkehr und Mobilität wagte ein spannendes Experiment, sperrte ein Wochenende lang den Platz und organisierte die Sommer-Straßengaudi. Gemeindeverwaltung, Bürgermeister und Pfarrei waren mit im Boot und machten es gerne möglich.

Und es funktionierte prächtig. Das public viewing am Freitagabend war auch von Familien bestens besucht, sie machten es sich auf Liegestühlen und Biertischgarnituren bequem. Der Platz lebte und vibrierte im wahrsten Sinne des Wortes – wurde doch jedes Tor der deutschen Mannschaft mit ausgiebigem Siegestanz der zahlreichen Kinder vor der großen Leinwand frenetisch gefeiert.

Auch in den nächsten zwei Tagen genossen die vielen Besucher den bunt-belebten Platz. Dort, wo normalerweise ausschließlich Autos parken, durften Kinder Tischtennis spielen, die Straße bemalen, mit Lauf -, Fahrrädern und sonstigen Gefährten ungehindert die Straße erobern. Es wurde Zumba getanzt und beim Frühschoppen mit den Warngauer Musikanten Weißwurst gegessen.

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Sommerstraßengaudi 2024 Foto: Kathi Rummel

Open-Air-Konzert, Yoga, Zumba, Tischtennis, Seifenblasen…

Es gab eine Boulderwand, die Polizei bot ein Verkehrssicherheitstraining für kleine Radlfahrer an, es konnte auf der Straße Schach gespielt werden und vor allem – es war viel Platz für Begegnungen. „Meine Kinder bleiben das ganze Wochenende hier, sie haben gesagt, die gehen nicht heim“, sagte eine Mutter.

Nun ist der Arbeitskreis Verkehr eigentlich kein Eventveranstalter, sondern kümmert sich laut Satzung um das folgende Leitziel: Gemeinsame Weiterentwicklung von sicherer, nachhaltiger und gleichberechtigter Mobilität für alle VerkehrsteilnehmerInnen in der Weyarner Region.

„Der Platz hier ist öffentlicher Raum und wird vor allem für Autos, aber nicht für Menschen genutzt. Wenn wir die Mobilität verändern wollen, brauchen wir vor allem auch andere Bilder im Kopf. Etwas Neues, Schönes – nur dann sind Menschen bereit, ihr Verhalten zu ändern“, so Sonja Wessel, Sprecherin des Arbeitskreises.


Professor Hermann Knoflacher und sein Gehzeug. Foto: David Brandt

Der Professor und sein Gehzeug in Wien

Manche Städte machen es vor: In Wien machte Professor Hermann Knoflacher schon in den 70-ger Jahren durch sein Gehzeug auf den Flächenverbrauch durch Autos aufmerksam. Mit einem an Gurten befestigten Holzrahmen in der Größe eines PKWs ging er durch Wiens Innenstadt und zeigte so den enormen Platzverbrauch auf. Er wurde zu einem gefragten Stadt- und Verkehrsplaner, der für eine menschengerechte Verteilung des öffentlichen Raumes steht. Nach wie vor hält der agile 83-Jährige mit dem Schalk in den Augen Vorträge und hat eben die Neuauflage seines Buches mit dem provokanten Titel „Virus Auto 4.0“ herausgebracht.

Es geht dem Arbeitskreis Verkehr und Mobilität nicht darum, das Auto zu verbannen. Aber es sei an der Zeit, die Straßen und Flächen anders zu denken und Fuß- und Radverkehr zu fördern. Beispiel Abstellflächen: In Weyarns Zentrum gibt es 10 öffentliche Radlparkplätze. Und 140 Autoparkplätze. Die Quote dürfte in den anderen Gemeinden ähnlich sein.


Sommerstraßengaudi 2024 Foto: Kathi Rummel

Und ja, es gibt genügend Gründe, auf dem Land auf das Auto nicht zu verzichten. Und es gibt noch mehr Gründe und Möglichkeiten, zumindest die Kurzstrecken bis 5 km, die 50% aller Fahrten ausmachen, durch das Fahrrad zu ersetzen. Egal ob in der Stadt oder auf dem Land.

Die Klimaziele der Bundesregierung schreiben die Reduzierung der Verkehrsemissionen bis 2030 auf 85 Mio t vor. Im letzten Jahr betrugen die Emissionen 145 Mio t und verfehlten damit das Ziel von 136 t deutlich.
Eine markante Verringerung des motorisierten Individualverkehrs sowohl in der Stadt als auch auf dem Land ist unabdingbar. Unterstützt und gefördert durch die Politik, aber auch durch Veränderung des Einzelnen – im Kopf und im Tun.

Zum Weiterlesen: Klimawandel vor der Haustür! Was kann ich tun?

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