Kultur geht online

Verschoben? Abgesagt? Kultur geht online

Johannes Floehr liest Benjamin Quaderer „Für immer die Alpen“ (600 Seiten) „solange bis mir die Augen zufallen, na DAS kann ja was werden“. Foto: Quelle Twitter

Kultur im Internet

Der weltbekannte Pianist Igor Levit hat zwei Stative gekauft. Mit zwei Smartphones überträgt er jeden Abend 19 Uhr ein Konzert aus seinem Wohnzimmer. Auf Twitter und auf Instagram.

Tausende hören ihm zu und chatten indessen über Hoffnung und Gemeinsamkeit, über Angst und Unsicherheit. Das Publikum dankt Levit in vielen Sprachen für das dreißigminütige Glück, das er ihnen täglich schenke.
Kultur geht online Igor Levit
Igor Levit 19.3.20 Wohnzimmer-Konzert In Socken Quelle: Twitter

Kultur geht online

Stündlich gibt es neue virtuelle Bühnen, Konzertsäle, Kulturzentren. DJ Sets aus den geschlossenen Berliner Clubs konkurrieren mit der irischen Punkband Dropkick Murphys. Die spielt ohne Publikum vor Kameras und erinnert immer wieder wohlerzogen, sich bitte die Hände zu waschen. Live online sind das Bach Collegium Japan (Masaaki Suzukia), die Metropolitan Opera, die Philharmonie Berlin und viele mehr – kostenfrei, ohne Registrierung und in verschiedenen Übertragungsqualitäten, damit auch diejenigen mit „ländlichem“ Internetanschluss zusehen können.

Für die Bayerische Staatsoper war es laut Intendant Nikolaus Bachler eine schwierige Entscheidung in Echtzeit online zu senden: Aber: „Ein Theater, das nicht spielen darf, existiert nicht“, sagte er der dpa am 15. März.

Verantwortung, Solidarität, Zugewandtheit mit technischen Mitteln. Solch großherzige Gedanken kann sich nicht jede/r Kulturschaffende leisten. Bei vielen geht es ums Überleben.
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Quelle Twitter

Die Schriftstellerin Jasmin Schreiber („Mariannengraben“) veranstaltet online Lesungen und erinnert an ihre Kaffeekasse bei Paypal. Wie auch der Autor Johannes Floehr „ich bin genau mein humor“. Favian del Favarro stellt auf twitch sein Format „Code & Kunst“ vor. Sein Bot „eloquentron3000“ schreibt Gedichte. Der Poetry Slam Vizemeister von 2017 bittet um eine Spende für Katzenfutter.

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Gedicht aus dem Computer: eloquentron3000 Quelle: Twitter

So entstehen für KünstlerInnen neue Möglichkeiten, weiterhin ihre Miete zahlen zu können.

Aber was verdient man im Internet? Neulich klagte ein kleines Theater in Erfurt, es wäre durch die Schließung bald pleite. Und alle SchauspielerInnen und Mitarbeiter auch. Noch nie was von Fundraising gehört?, schimpften Kommentatoren im Internet. „Kamera aufstellen, trotzdem spielen und gut ist.“

Na ja, antwortete das Theater verlegen auf Twitter, ist schon ein Unterschied, ob jeden Abend 50 Leute ein Ticket für 25 Euro kaufen oder ob wir einen Livestream machen. Ist ja keine von 0 auf 100 Sache …

Ohne Reichweite kein Geld

Richtig. Wenn man seine Netzgemeinde seit Jahren auf Social Media Kanälen wie Facebook, Instagram oder YouTube vergrößert hat, ist es jetzt leicht, seine zehntausend Follower auf das Spendenkonto bei Patreon oder Betterplace aufmerksam zu machen. Ohne Reichweite kommt kaum Geld aus dem Internet.

Künstlerisch wertvolle Filme

Der Nürnberger Grandfilm Filmverleih bietet auf vimeo.com Videos-on-Demand von künstlerisch wertvollen Filmen an, deren Premieren in den Programmkinos ausfallen mussten. Er verspricht, die Hälfte der Einnahmen an dreißig Kinos abzugeben, die jetzt in ihrer Existenz bedroht sind. Im Streaming-Programm findet man unter anderem DIE MASKE von Malgorzata Szumowska und ZAMA von Lucrecia Martiel. Nur fünfzig Zuschauer interessieren sich derzeit für das Angebot auf vimeo, einen Film für 9 Euro 90 (30 Tage) zu streamen.

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Quelle Twitter

Harte Zeiten. Nicht nur für KünstlerInnen und Kulturbetriebe. Vergessen sind die vielen freiberuflichen HelferInnen, die eine gute Aufführung oder ein gutes Konzert ermöglichten. In der Tontechnik, beim Bühnenaufbau, an den Abendkassen, den Garderoben und am Einlass. Und auch diejenigen, die nach den Veranstaltungen die Toiletten putzten. Viele von ihnen ohne Rücklagen, die von Job zu Job überlebten.

Lesetipp: Die Kultur in den Zeiten des Coronavirus

Es besteht während der Ausgangssperre für uns die Möglichkeit zur Ruhe zu kommen und uns aus der Nachrichtenflut des Internets auszuklinken. Aber auch die Möglichkeit, gezielt an virtueller Kultur teilzuhaben und sie damit zu unterstützen. Der Zugang zu Kultur online ist leicht, auch für Menschen, die nicht im Internet ihr zweites Zuhause haben. Versuch macht klug.

Übrigens: die Telekommunikations-Provider in Deutschland sagen, die Netzkapazität wäre trotz der höheren Auslastung noch nicht gefährdet.

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