Von Renoir bis Jawlensky - Michael Beck, Kurator und Vorsitzender der Gulbransson Gesellschaft, pusht das Olaf Gulbransson Museum Tegernsee mit der neuen, hochkarätigen Sonderausstellung weiter in die Liga der großen Museen

Werke, die Kunstgeschichte schrieben – von Renoir bis Jawlensky

Michael Beck, Kurator und Vorsitzender der Gulbransson Gesellschaft, hebt das Olaf Gulbransson Museum Tegernsee mit der neuen, hochkarätigen Sonderausstellung weiter in Richtung Liga der großen Museen. Foto. IW

Ausstellung in Tegernsee

Mit Werken der bedeutendsten Künstler und Künstlerinnen des französischen Impressionismus und deutschen Expressionismus hängt das Olaf Gulbransson Museum die Messlatte des Erfolgs der Chagall-Ausstellung des letzten Jahres noch ein Stück höher. 

Ins Buchheim Museum fahren, um die Werke der Künstlergruppe Blauer Reiter oder der Brücke zu sehen? Nach Murnau oder nach München ins Lenbachhaus? Oder gar nach Paris in den Louvre, um Pierre-Auguste Renoir zu betrachten? Kann man machen. Muss man aber nicht. Heute eröffnet die Ausstellung „Von Renoir bis Jawlensky – Mit Leidenschaft gesammelt. Werke aus Privatbesitz“ in Tegernsee.

„Von Renoir bis Jawlensky“ zeigt Verborgenes 

„In den Museumssammlungen hängen die altbekannten Werke“, lenkt Michael Beck die Aufmerksamkeit auf das kleine Olaf Gulbransson Museum Tegernsee, „aber hier zeigen wir, was teils seit mehr als sechzig Jahren in Privatbesitz ist und normalerweise der Öffentlichkeit verborgen bleibt.“ Wie bereits bei der letztjährigen Chagall-Ausstellung, die mit knapp 18.000 Kunstinteressierten alle bisherigen Besucherrekorde brach, setzt der Kurator und Vorstandsvorsitzende der Olaf Gulbransson Gesellschaft Tegernsee auf den Reiz und die Leidenschaft privater Sammlungen.

In der Ausstellung Von Renoir bis Jawlensky - Links das Bild "Zwei Frauen auf der Wiese" von August Macke, das 1910 am Tegernsee entstand
Links das Bild „Zwei Frauen auf der Wiese“ von August Macke, das 1910 am Tegernsee entstand. Foto: IW

Michael Becks Kontakte als Galerist in Düsseldorf und der Umstand, dass er seit Kindesbeinen in die Kunstszene hineingewachsen ist als Sohn des Expressionisten Herbert Beck, machen das scheinbar Unmögliche erneut möglich: Private Sammlerinnen und Sammler stellen ihre Werke zur Verfügung. Damit ist das Museum in der Lage, in der diesjährigen Sonderausstellung Schlüsselwerke von 28 der namhaftesten Kunstschaffenden aus der Epoche Impressionismus und Expressionismus zu zeigen – in einer kleinen, feinen „Kabinettausstellung“. Zum Greifen nah, fast buchstäblich. Zumindest nah herantreten darf man, um die Werke eingehend zu studieren. Platz ist genügend da in den größer wirkenden Räumen, die neue durchgehende Wände bekommen haben. Lediglich Zeit sollte man mitbringen – und die Bilder auf sich wirken lassen.

Ausstellung der Superlative

Von „Renoir bis Jawlensky“ – der Ausstellungsname verspricht nicht zu viel. Zu sehen sind Gemälde und Aquarelle von den Großen ihrer Zeit: von Pierre-Auguste Renoir, Paul Gauguin, Max Slevogt, Alexej von Jawlensky, Lyonel Feininger, Paul Klee, August Macke bis zu Emil Nolde, Ernst Barlach und vielen weiteren, die Kunstgeschichte schrieben. Auch die Künstlerinnen kommen nicht zu kurz: von Gabriele Münter und Marianne von Werefkin bis zu Paula Modersohn-Becker erhalten sie den würdigen Platz, der ihnen zusteht.

Beide Stilepochen gegenübergestellt

„Wir möchten zeigen, wie sich die Kunst von der lichtdurchfluteten, gegenständlichen und stimmungsvollen Malerei der Impressionisten des 19. Jahrhunderts in die vergeistigte, abstrahierte und intellektuelle Malerei des Expressionismus im 20. Jahrhundert entwickelte“, erklärt der Kurator und weist auf den Eingangsbereich. Dort treffen die beiden Stilrichtungen aufeinander: Links werden die Gäste von zwei eindrucksvollen Landschaftsbildern Renoirs begrüßt, „Sortie du bois, mer au fond“ und „Personnages dans un Paysage“. Rechts sind zwei von Jawlenskys „Variationen“ gegenübergestellt. „Auf der einen Seite die flirrende Hitze in den hellen Farben des Impressionisten“, erläutert Michael Beck, „und rechts, von der Realität losgelöst, wird der Expressionist zum Weltschaffenden, der seine inneren Stimmungen und Farbbilder in die Landschaft gießt.“ Damit ist die Klammer aufgemacht, welche die gesamte Ausstellung umfasst.

Links Emil Noldes "Waldrand" - rechts Pierre-Auguste Renoir "Les Petites roses"
Emil Nolde „Waldrand“ und Pierre-Auguste Renoir „Les petites roses“ (v.l.). Foto: IW

„Who is who“ aus Brücke und Reiter

Ein roter Faden schlängelt sich von Impressionismus zu Expressionismus und allem dazwischen. „Wir haben bewusst auf jegliche Chronologie und auch auf Vollständigkeit verzichtet“, so der Kurator, „wir wollen vor allem überraschen“. Das ist hervorragend gelungen. Die Bilderfolge liest sich wie eine musikalische Partitur, ist so leicht und spielerisch, als hätten sich diese bedeutsamen, selten das Licht der Öffentlichkeit erblickenden Werke zu einem Konzert zusammengetan.

Karl Schmidt-Rotluff
Leiten die neue künstlerische Epoche ein: Karl Schmidt-Rottluffs Aquarelle aus dem Jahr 1922. Foto: IW

Einzelne Bilder aus unterschiedlichen Schaffensperioden sind immer wieder hineingemischt, sodass sie eine Gegenüberstellung mit Kunstschaffenden ihrer Zeit ebenso erlauben wie die Betrachtung der künstlerischen Entwicklung jedes Einzelnen zulassen. So beginnt gleich nach dem Eingang im Uhrzeigersinn der Sprung in die neue künstlerische Epoche mit den farbenprächtig „Blühenden Bäumen“ Karl Schmidt-Rottluffs. Daran schließt sich ein verblüffend wandelbarer Christian Rohlfs an, der als Einzelgänger keiner Gruppe angeschlossen war und völlig zu Unrecht weniger bekannt ist als die Namen der großen Brücke- und Blaue-Reiter-Künstler.

Sich überraschen lassen

Auch von den unterschiedlichen Schaffensepochen Emil Noldes darf man sich überraschen lassen. Nach der Ausstellung Beck trifft Nolde im Jahr 2018, die vornehmlich Aquarelle zeigte, wird sein farbintensives „Familienbild“ aus dem Jahr 1947 zu einem der Schlüsselwerke der Ausstellung. Gegenüber, auf der anderen Seite des Raumes, könnte Max Liebermanns „Bauernhof in Barbizon“ in seinem schweren goldenen Rahmen nicht gegensätzlicher sein. Die dunkle, satt-schwere Erde des Landes, gemalt im impressionistischen Pinselduktus, lässt sich förmlich riechen. Überhaupt – sich ab und an umzudrehen und neue Blickwinkel einzunehmen lohnt sich. Die Überraschungen sind immer wieder gelungen.

Vor der "Blauen Wand" steht dads Podium für die ausstellungsbegleitenden Face-to-Face-Gespräche
Vor der blauen Wand wird das Podium für die ausstellungsbegleitenden Face-to-Face-Gespräche aufgebaut. Foto: IW

An der roten Stirnwand lockt exponiert das „Covergirl“ der Ausstellung – Jawlenskys „Mädchen aus St. Prex“. An der blauen Rückwand künftiger “Face-to Face“-Gespräche ziehen die Blicke von Gustave Caillebottes „Portrait de Georges Roman“ und des „Selbstporträt“ von Henri Fantin-Latour die Kunstinteressierten in Bann. Wie sehr die Expressionisten von Afrikanischer Kunst angetan und inspiriert waren, zeigt eine Gegenüberstellung der „Figur einer Frau“ der westafrikanischen Yoruba und Christian Rohlfs fabelwesenhaften „Zwei Köpfe“.

Skulptur der Yoruba und Christian Rohlfs "Zwei Köpfe"
Was macht die Yoruba-Figur in der Ausstellung? Lassen Sie sich überraschen. Foto: IW

An der gelben Stirnwand im kleinen Raum links der Treppe zieht die „Herzgruppe“ des Blauen Reiters die Blicke auf sich und lässt eine genaue Betrachtung und Einordnung der Werke beider großer Künstlerpaare – Gabriele Münter und Wassily Kandinsky sowie Marianne von Werefkin und Alexej von Jawlensky – zu. Flankiert werden sie zur Linken von August Macke – dessen „Zwei Frauen auf der Wiese“ im Jahr 1910 in Tegernsee am Staudacherhof entstand. An der Wand rechts daneben laden bisher kaum gezeigte kleinformatige Bilder Franz Marcs zum Verweilen ein.

Mit Leidenschaft gesammelt

Der Untertitel „Mit Leidenschaft gesammelt“ liegt Kurator Michael Beck besonders am Herzen. Sein Dank gilt den leidenschaftlichen Sammlerinnen und Sammler, die sich ein halbes Jahr lang von den ihnen ans Herz gewachsenen Kunstwerken trennen, um sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Werke, die abseits der großen, allseits bekannten Bilder der Künstler viel über deren Leben und Leidenschaft am Malen zu erzählen wissen – und in dieser feinen kleinen, fast privat anmutenden Ausstellung nahbar sind und einen besonderen Zugang ermöglichen.

Der "Singende Mann" des Güstrower Künstlers Ernst Barlach vor Le Déjeuner àBourgueil" von Louis Anquetin
Der „Singende Mann“ des Güstrower Künstlers Ernst Barlach vor „Le Déjeuner à Bourgueil“ von Louis Anquetin. Foto: IW

Es lohnt, sich Zeit zu nehmen und neben den Werken auch anhand der ausgewählten Zitate in die Kunst und ihre Geistesströmungen einzutauchen. Per QR-Code lassen sich zudem die Biografien der Künstlerinnen und Künstler digital auf dem Smartphone nachlesen. Ein bilderreicher und umfangreich betexteter Begleitband stellt die Kunstschaffenden und ihre Werke vor. Ein spannendes Programm aus Führungen und Face-to-Face Gesprächen ergänzt die Ausstellung.

„Von Renoir bis Jawlensky. Mit Leidenschaft gesammelt. Werke aus Privatbesitz“ ist im Olaf Gulbransson Museum Tegernsee bis zum 8. Januar 2023 zu sehen. Zur Vernissage am heutigen Freitag um 18 Uhr (im Freien vor dem Museum mit anschließender Gelegenheit zur Besichtigung der Ausstellung) spricht Dr. Mario-Andreas von Lüttichau. Am Flügel spielt Anastasiya Levchuk.

Gefällt Ihnen dieser Beitrag? Bitte besuchen Sie uns auf