Reithamer Gespräche werden Warngauer Dialog
Theologe Matthias Striebeck und Journalist Martin Calsow auf dem Podium (v.l.). Foto: Ines Wagner
Podiumsdiskussion in Warngau
„Brauchen wir Religion?“ war die provokante Frage, die Monika Ziegler ihren beiden Podiumsgästen beim ersten Warngauer Dialog stellte. Der evangelische Theologe Matthias Striebeck und Journalist und Krimischriftsteller Martin Calsow im Wortgefecht.
Zehn Jahre lang veranstaltete KulturVision am Buß- und Bettag die beliebten Reithamer Gespräche. Nach der Jubiläumsveranstaltung mit dem Thema „Wachstum und Suffizienz“ fand Initiatorin Monika Ziegler, dass es Zeit für etwas Neues sei.
Religion und Gesprächskultur
Das Konzept des Warngauer Dialoges war schnell entwickelt: Ein brisantes Thema. Zwei brillante Köpfe mit gegensätzlicher Meinung. Zündstoff, mit dem die Fetzen fliegen? Nicht ganz. Der Warngauer Dialog findet statt im Rahmen der Reihe „Anders wachsen“, in der es um die Transformation der Gesellschaft geht. Es entstand die Idee eines „Anders wachsen“ auf dem Gebiet der Kommunikation. Dabei geht es um Gesprächskultur. Die Warngauer Gespräche sollen ein positives Beispiel dafür sein, wie zwei Menschen unterschiedlicher Meinung miteinander reden.
Moderatorin Monika Ziegler, Matthias Striebeck und Martin Calsow (v.l.). Foto: Petra Kurbjuhn
Die Frage, ob wir Religion brauchen, passte zum Buß- und Bettag und auch zum Lutherjahr. Entsprechend gut besucht war die Veranstaltung. Das Thema brennt vielen Menschen unter den Nägeln. Mit Matthias Striebeck und Martin Calsow hatte Monika Ziegler zwei starke Persönlichkeiten aus dem Landkreis auf ihrem Podium sitzen. Der evangelische Pfarrer im Ehrenamt und Notfallseelsorger und der kritische Journalist und bisweilen zynische Krimischriftsteller lieferten sich ein lebendiges Gespräch, dem es trotz des ernsten Themas an Wortwitz nicht mangelte. Beide erwiesen sich als brillante Redner im Pro- und Kontra-Gespräch um die Frage, ob wir Religion brauchen.
Gespanntes Publikum beim Warngauer Dialog. Foto: Petra Kurbjuhn
Matthias Striebeck vertrat die Auffassung, dass die Frage nach dem „brauchen“ an sich schon schwierig sei. „Man kann sich nicht aussuchen, was man braucht, in welche Religion man hineinwächst“, meinte er. „Aber wenn man Religion geschenkt bekommt, merkt man, das man sie brauchen kann.“ Zugleich räumte er ein, dass Religion in ihrer institutionalisierten Form zu Beschränkungen neige und hinterfragte, ob Erotik ein Thema sei, in die Religion sich einmischen darf. Für den Theologen sind die wichtigen Eckpunkte der Religion Trost und Hilfe in Krisensituationen und dass Religion kein Widerspruch zum Verstand ist.
Martin Calsow erklärt einen seiner Leitsprüche. Foto: Petra Kurbjuhn
Martin Calsow, der sich selbst als „klassisch katholisch sozialisiert“ bezeichnet, betrachtete das Thema, wie auch in seinen Krimis, von der zynisch-kritischen Seite. Religion habe ihm zwar ein moralethisches Leitbild mitgegeben, aber auch stundenlange Langeweile. Ihn stört der Dogmatismus und das mystisch seltsam unbegründete „Verschwurbelte“, wie das Aschekreuz und die Marienverehrung. Auf konkrete Fragen habe er keine Antworten bekommen. Deshalb verweist er auf Aufklärung, Philosophie und Wissenschaft. Seine Themen sind Freiheit und Verstand.
Hokuspokus und Fegefeuer
Einig waren sich beide in ihrer Ablehnung des boomenden Esoterikmarktes. Für Calsow ist das schlichtweg Hokuspokus und Matthias Striebeck hält in Kürze ein 3-tägiges Seminar im Rahmen des Studium Generale an der VHS mit dem Titel „Kampf der Esoterik“. Witzige Wortgefechte entbrannten an Fragen wie „Was ist das Fegefeuer?“
Cellist Dietmar Rexhausen. Foto: Petra Kurbjuhn
Eine wichtige „Vermittlerrolle“ im Warngauer Dialog kam dem Cellisten und Musikinstrumentenbauer Dietmar Rexhausen aus Schliersee zu. Er sprach mit seinem hochvirtuosen, ausdrucksstarken Cellospiel ohne Worte „von Herz zu Herz“. Mit einfühlsamen Stücken von Sergei Rachmaninov und Maurice Ravel nahm er Tempo und Spannung fort und befreite die Anwesenden vom Wort.
Viele Fragen tauchten auf
In der Pause schrieben die Besucher zahlreiche Fragen auf, die Theologe und Journalist in der zweiten Runde beantworteten. Wie stark das Thema aufwühlte, zeigte sich anhand des Zettelstapels. „Was würde passieren, wenn es von heute auf morgen keine Religion mehr gäbe?“, fragten beispielsweise die Zuschauer, und „,warum lebt die Kirche so wenig Spiritualität?“
Besucher notierten ihre Fragen. Foto: Petra Kurbjuhn
Zum Abschluss des Gespräches, das großen Unterhaltungswert und bisweilen Showcharakter hatte, fasste Monika Ziegler die Schnittmengen beider „Kontrahenten“ zusammen: Matthias Striebeck bekräftigte, dass Glaube eine freie Einladung sei, und Gnade ein Geschenk, das kein Gegengeschenk erwarte. Also berge Religion große Freiheit. Martin Calsows Weg führte über die Aufklärung. Schließlich sind es die Extremsituationen, in denen die Menschen zum Glauben zurückfinden, räumte er ein. Beide trafen sich bei: Zweifeln und Suchen. Verstand einsetzen. Gefühle zulassen.
Und das Resümee?
Es war spannend und kurzweilig. Mancher hätte vielleicht etwas mehr „in die Tiefe gehen“ gewünscht. Das war in der Kürze nicht einfach. Auch mancher Zettel musste aus Zeitmangel unbeantwortet bleiben. Monika Ziegler freute sich über den guten Anfang auf dem Weg zur einer anderen Gesprächskultur. Und es gibt durchaus noch Luft nach oben.