Warum warst du so lange weg?
Ossi (Gunsmaa Tsogzon) und Wessi (Uisenma Borchu) (v.l.) bei der Filmpremiere. Foto: Brigitte Dummer
Filmtipp von KulturVision
Es ist ein berührender, vielschichtiger Film, den Uisenma Borchu und Sven Zellner nach seiner Premiere auf der Berlinale jetzt im FoolsKINO Holzkirchen präsentierten und die Fragen der begeisterten Zuschauer beantworteten: „Schwarze Milch“.
Bei berührend denkt so mancher an emotional oder romantisch. Das ist der Film der jungen Regisseurin und Schauspielerin, die mit ihrer Familie einige Jahre in Holzkirchen lebte, keineswegs. Es ist ein klarer, distanzierter Film, ein sehr direkter und rauer Film, der gerade durch das Fehlen von großen Gefühlsausbrüchen so berührend authentisch wirkt.
Es geht um die junge in Deutschland lebende Wessi (Uisenma Borchu), die nach vielen Jahren ihre Schwester Ossi (Gunsmaa Tsogzol) in der mongolischen Steppe besucht. Da prallen zwei Kulturen aufeinander. Wessi versteht vieles nicht, was Sitte bei den Nomaden ist und Ossi verteidigt diese Sitten. Und sie sagt: „Warum warst du so lange weg?“
Warum beispielsweise muss die Jurte nachts unverschlossen bleiben? Die beiden Frauen werden überfallen und Wessi wird vergewaltigt. Sexuelle, gar häusliche sexuelle Gewalt, sei ein Tabuthema bei den Nomaden, aber sie wolle es nicht kaschieren, sagte die Regisseurin, denn sie kenne aus der eigenen Familie viele Erlebnisse dieser Art.
Uisenma Borchu auf dem roten Teppich der Berlinale. Im Hintergrund Familie und Mitwirkende des Films. Foto: Brigitte Dummer
Uisenma Borchu stellt diese Szene besonders eindringlich dar, denn sie will kein Opfer sein, sondern zeigen, dass ihr Innerstes von diesem Überfall nicht berührt wird.
Wessi versucht ihrer Schwester zu vermitteln, dass man als Frau nicht alles hinnehmen muss. Ossi nämlich ist überglücklich, endlich schwanger zu sein und verzeiht ihrem unzuverlässigen Ehemann, der statt zu arbeiten sich mit seinen Kumpels volllaufen lässt. Wessi stellt auch die alten Traditionen der Nomaden infrage, indem sie eine Beziehung zu dem als Sonderling bekannten, viel älteren Terbish (Terbish Demberel) anfängt. Voller Stolz, voller Freiheit.
Andererseits sieht sie auch die Werte des Nomadenlebens im Einklang mit der Natur, mit den Tieren. Und den Wert der Gemeinschaft, denn Ossi hat ihr zu Ehren ein großes Fest veranstaltet, zu dem alle Verwandten und Freunde sich in der Jurte versammeln.
Uisenma Borchu und Sven Zellner im FoolsKINO Holzkirchen. Foto: MZ
Das Filmteam, so erzählt Uisenma Borchu, habe sehr behutsam agieren müssen. Man habe sich zunächst einen Zugang zu den Nomaden erarbeitet und nicht strikt nach Drehbuch arbeiten können. Außer der Regisseurin selbst waren es ausschließlich Laiendarsteller, eine Reihe aus der eigenen Familie, wie Cousine Gunsmaa Tsogzol oder Vater Borchu Bawa, der den Stiefvater von Ossi in seinem ganzen Nomadenstolz spielt.
Borchu Bawa: Gobi-Sonne. Foto: Petra Kurbjuhn
Die Eltern von Uisenma Borchu haben beide noch als Nomaden gelebt, bevor sie zum Studium in die Stadt und später nach Deutschland übersiedelten. In den eindrucksvollen Bildern des Malers Borch Bawa aber lebt die mongolische Steppe in ihrer ganzen Schlichtheit auf.
Die erste Regel bei den einmonatigen Dreharbeiten, die aber ein Jahr Vorarbeit hatten, sei gewesen, es komme nicht auf mich, sondern die Gemeinschaft an, betonte die Regisseurin. Und so habe man sehr spontan und flexibel arbeiten müssen.
Laut Drehbuch war eine Szene vorgesehen, in der die Schafherde von Wölfen angegriffen wurde. Kameramann Sven Zellner erzählte, dass in der Tat ein Wolf einige Schafe gerissen habe. Und ein Nomade habe gesagt: Die Natur kommt euch entgegen, es war gut, dass der Wolf die schwachen Tiere aussortiert hat. So ist der Film eine unverschnörkelte und nicht romantisierende Darstellung des Nomadenlebens in der mongolischen Steppe, er zeigt das Bewahrenswerte ebenso wie er Traditionen in Frage stellt. Er stellt aber auch die westliche Tradition in Frage, etwa, wenn Wessis Partner sie eingangs von dieser Reise fernhalten will: Du gehörst mir.
Lesetipp: „Schwarze Milch“: Premiere bei der Berlinale
Uisenma Borchu ist mit „Schwarze Milch“ ein Film gelungen, der haften bleibt. Seine klare Bildsprache, die authentischen Figuren und seine Ambivalenz, was die Kulturen anbelangt, machen ihn zu einem wichtigen Beitrag zum gegenseitigen Verstehen.