Was ist Demokratie?

2500 Besucher kamen zur Kundgebung für Demokratie von „Holzkirchen ist bunt“ im Februar 2024. Foto: Frank Strathmann.

Sonntagskolumne

Meist wird Demokratie verkürzt so dargestellt, dass die Bürgerinnen und Bürger in regelmäßigen Abständen wählen und die Mehrheit „Recht“ bekommt. Doch Demokratie ist mehr als das Prinzip der Majorität.

Das betonte Thomas Mann in seinem Vortrag „Vom zukünftigen Sieg der Demokratie“. Ein wichtiges Merkmal der Demokratie ist die Gewaltenteilung: Regierung, Parlament und Gerichtswesen. Die Macht ist zeitlich begrenzt und Machtverhältnisse sind systemimmanent reversibel.

In der Demokratie herrscht Recht, das auf einer Verfassung basiert. Um eine Verfassung festzuschreiben, muss die Gesellschaft einen Gemeinsinn, ein Ethos, eine Vorstellung entwickeln, wie sie leben möchte. Einen Meilenstein in der Menschheitsgeschichte und für die rechtsstaatliche Demokratie bildet die UN-Menschenrechtskonvention von 1948. In dieser Menschenrechtserklärung und später im deutschen Grundgesetz im Jahr 1949 sind Menschenwürde, Gerechtigkeit, Frieden, persönliche Freiheit, Religionsfreiheit, Meinungs- und Informationsfreiheit und vieles mehr verankert.

Menschenrechte
Platz für Menschenrechte in Holzkirchen. Foto: Manfred Lehner

Für Gerechtigkeit und Wahrheit

Die im Grundgesetz aufgeführten Staatsprinzipien Demokratie, Rechts- und Sozialstaatlichkeit, Republik und Föderalismus bilden die Basis des deutschen Verfassungsstaates.

„Nie wieder ist jetzt!“ konnte man auf einigen Plakaten lesen, die seit Anfang 2024 auf vielen Demonstrationen für die Demokratie mitgeführt wurden. Diese Demonstrationen in Deutschland und in Europa sind ein wichtiges Signal. Doch was verstehen wir unter Demokratie?

Mehr als Wählen

Diese freiheitliche rechtsstaatliche Demokratie ist nicht selbstverständlich und muss immer von jeder Generation von Neuem erarbeitet und verteidigt werden. Die größte Gefahr kommt meist von innen. So können sich die politischen Mandatsträger und die Bürgerinnen und Bürger immer mehr von den Zielen und Inhalten der Verfassung entfernen bis hin zur Gleichgültigkeit und Zerstörung. Nichts höhlt eine Gesellschaft mehr aus als ein fehlendes Bewusstsein für Gerechtigkeit und Wahrheit, sowohl in der Politik als auch in der gesamten Gesellschaft. Kunst, Kultur, Medien und Wissenschaft sind die ersten Opfer autokratischer Bestrebungen. Weltweit sind autokratische Regierungen auf dem Vormarsch.


Freiheit für Syrien. Foto: privat

Das heißt aber nicht, dass die Idee der Demokratie auf dem Rückzug ist. Wir wissen nicht, wie viele Millionen Menschen sich in Diktaturen und Autokratien nach Freiheit und demokratischen Verhältnissen sehnen.

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Bis zur Jahrtausendwende war der „informierte Bürger“ das Ideal in der Demokratie. Parteien und Medien, zunächst die Zeitungen und öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, lieferten die Informationen. Die Medien entwickelten sich zur „vierten Gewalt“ im Staat. Mit dem Erscheinen der interaktiven sozialen Medien gab es zunächst Hoffnung, dass diese die Demokratie beleben könnten. Doch heute sehen wir, dass die Gesellschaft durch Hass, Fake News und soziale Isolierung mehr gespalten und radikalisiert wird. Aus dem „informierten Bürger“ wird oft ein orientierungsloser Bürger, der nicht mehr weiß, was er noch für wahr halten soll. Viele sehen keinen Wert mehr in der Demokratie, suchen in einer komplexen Welt nach einfachen Erklärungen oder beginnen, an Verschwörungsmythen zu glauben.

Bildung, Vernetzung und Dialog

Weiterhin kommt der Bildung in allen Lebensphasen eine große Bedeutung zu – in den Kindergärten, im Religionsunterricht und in der Erwachsenenbildung. Herauszuheben ist die Arbeit des Kompetenzzentrums für Demokratie und Menschenwürde der Katholischen Kirche Bayern, mit seinen Standorten an der Domberg-Akademie Freising und an der Akademie Caritas-Pirckheimer-Haus Nürnberg.


Ausstellung der Stiftung Weltethos. Foto: Irmgard Kolbe

In Zeiten des zunehmenden religiösen Fundamentalismus ist es um so wichtiger, den interreligiösen Dialog zu intensivieren und zu pflegen. Er geschieht weniger laut und oft im Hintergrund, ist aber für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft unerlässlich. Ein wesentlicher Baustein gegen Hass und Hetze bildet das Bayerische Bündnis für Toleranz, ein ökumenisches Netzwerk, dem auch das Landeskomitee der Katholiken in Bayern angehört.

Nicht zu vergessen die Entwicklungszusammenarbeit der Kirchen, die mehr als Spenden für Projekte ist. Durch Austauschprogramme sorgt sie für Begegnung und Verständnis, besonders unter jungen Menschen. Trotz der vielen Aktivitäten und Anstrengungen in den christlichen Kirchen scheint es, dass dadurch nur eine geringe Zahl von Menschen erreicht wird. Wesentlich höher ist die Zahl derer, die in den Gottesdiensten erreicht werden können. Wo, wenn nicht dort, sollte der „Glutkern des christlichen Menschbildes“ am deutlichsten zum Vorschein kommen? Dies zu fördern und verstärken, wäre eine wichtige Aufgabe für alle Verantwortlichen in der Kirche.

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„Nie wieder ist jetzt!“ Dieses Jetzt wird nicht aufhören. Jede Generation muss die Demokratie für sich neu entdecken, erarbeiten und verteidigen. Was jedoch Demokratie am meisten braucht, ist eine Vorstellung von der Zukunft. Wir brauchen eine gemeinsame Idee von einer Welt, in der wir leben wollen. Demokratie für sich allein ist eine Regierungsform.

In Verbindung mit den Werten des Grundgesetzes entwickelt sie sich zu einer Lebensform, ja sogar zu einer Seinsform. Das Grundgesetz gibt nicht nur eine Orientierung, wie wir zusammenleben wollen, sondern auch wer wir sein wollen. Wir alle haben die Wahl – jetzt!

Unser Autor Josef Fuchs arbeitet ehrenamtlich im Sachausschuss „Mission-Gerechtigkeit-Frieden“ im Landeskomitee der Katholiken in Bayern. Wir bringen hier eine gekürzte Fassung seines Beitrages, der in der Zeitschrift „Gemeinde creativ“ September/Oktober 2024 erschien.

Zum Weiterlesen: Lange Nacht der Demokratie

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