Wasserleiche mit Blues
Krimiautor Harry Kämmerer und Gitarrist Reinhard Soll. Foto: Hannah Miska
Krimiautor Harry Kämmerer und Gitarrist Reinhard Soll folgten der Einladung des Vereins „Schliersee liest“ und begeisterten ihr Publikum mit einem Hör-Schmaus im Saal des Heimatmuseums.
Autorenlesung in Schliersee
Dass die Schlierseer, entgegen aller Gerüchte, im Grunde nichts gegen die Münchner hätten, sei mit der Einladung von Harry Kämmerer und Reinhard Soll nunmehr bewiesen – humorig begrüßte Christoph Seidenfus im Namen des Vereins „Schliersee liest“ die beiden Künstler, die zwar beide nicht in München geboren sind, aber doch seit Jahrzehnten dort leben.
München, ein Kommissar und ein Dackel
Reinhard Soll eröffnete den Abend mit einem Blues, der einem den Atem nahm: E-Gitarre, rauchige Stimme – war man hier bei einem Konzert oder bei einer Lesung? Doch schon übernahm der Autor und kündigte an, aus seinem ersten Kriminalroman „Isartod“ zu lesen, der – nach über zehn Jahren – mit einem komplett neuen Schluss gerade neu verlegt worden ist.
Begleitet von Reinhard Solls Gitarrenspiel begann Kämmerer mit einer stakkatohaften Aufzählung aller ach so schönen Klischees über München – nördlichste Stadt Italiens, Biergärten, Brezn und Hofbräuhaus, der weite Blick mit Alpenkette, die wilde Isar – holte die Zuhörer dann jedoch sogleich in die schnöde Wirklichkeit zurück, indem er an die hässlichen, schmutzigen, grauen Ecken der Stadt erinnerte. In einer dieser hässlichen Ecken wohnt Karl-Maria Mader mit seinem Dackel Bajazzo – Mader, Hauptkommissar bei der Münchner Kripo und Kämmerers Schlüsselfigur in diesem wie in seinen folgenden Kriminalromanen.
Am Büchertisch mit den Buchhändlerinnen Jennifer Roger (l.) und Beate Fischer. Foto: Hannah Miska
Text und Musik – cool komponiert
Das Zusammenspiel von Kämmerers Lesung und Solls Gitarrenspiel ist spektakulär. Es ist perfekt durchkomponiert, die Gitarre begleitet nicht nur, sondern schafft Atmosphäre, erzeugt Spannung, beherrscht die leisen wie die lauten Töne, geht dem Text manchmal voran oder setzt einen Schlussakkord. Das Ganze ist inszeniert wie ein Hörspiel und fasziniert die gut fünfundzwanzig Zuhörer entsprechend.
Blues-Sänger und Gitarrist Reinhard Soll. Foto: Hannah Miska
Auch Kämmerer beherrscht verschiedene Tonlagen für seine verschiedenen Figuren, er streut ein Liedchen ein („Ich sitze hier am Isarstrand…“, eine Münchner Version vom berühmten „Dock of the Bay“), er pfeift oder imitiert rasselnde Schlafgeräusche – kurzum: das Zuhören ist ein Vergnügen.
Pool-Leichen mit Pointen und Lokalkolorit
Hauptkommissar Mader wird mitten in der Nacht von seinem Kollegen und Mitstreiter Hummel geweckt: Es gibt eine Wasserleiche im Naturbad Maria Einsiedel. Ein klarer Fall für die beiden, zu deren Team auch noch ein gewisser Zakl gehört sowie die rustikale, rothaarige „Dosi“ aus Niederbayern. In seinem noch druckfrischen Roman „Totwald“, aus dem der Autor nach der Pause liest, findet Hummel seinen Schrebergarten-Nachbarn erhängt auf, Dosi und Zakl ermitteln in einer Grünwalder Villa, in dessen Pool eine Leiche schwimmt, und Mader wird von seinem Chef mit einem „cold case“ beauftragt – einem ungelösten Politikermord, der vor dreißig Jahren stattfand.
Harry Kämmerer beim Signieren. Foto: Hannah Miska
Ob die Morde gelöst werden, verrät der Autor nicht während der Lesung. Vielleicht ist das aber auch gar nicht so wichtig, denn eigentlich möchte der gelernte Literaturwissenschaftler über München schreiben und über die Menschen, die in dieser Stadt leben, und in der Tat sind seine Bücher voller Lokalkolorit. Kämmerer benutzt dafür eine reduzierte Sprache mit kurzen, knappen Sätzen, teilweise ohne Verben, mit schnellen Pointen und Anglizismen gespickt – das muss man mögen. Zusammen mit Reinhard Soll und der Gitarre funktioniert es jedenfalls bestens.
Mit Kladde und Stift
„Totwald“ ist Kämmerers achter Kriminalroman aus der Kommissar-Mader-Serie, für eine parallele Krimiserie hat er die Kommissarin Andrea Mangfall geschaffen. Im Hauptberuf Programmleiter in einem Ratgeber-Verlag, privat Vater von drei Kindern – Kämmerers Produktivität ist beachtlich. Er selbst findet sein Arbeitspensum eher normal: „Ich habe ständig eine stinknormale Kladde und einen Stift dabei und schreibe immer dann, wenn ich irgendwo warten muss – auf den Zug, auf die nächste S-Bahn oder, oder, oder. Ich schreibe alles auf, was ich sehe und beobachte – das fließt einfach und erst das Abtippen finde ich dann mühselig.“
Schliersee liest und groovt
Reinhard Soll, ein inzwischen pensionierter ehemaliger Kollege von Kämmerer, erwähnt ebenso beiläufig wie bescheiden, dass er in einer Bluesband spielt. Dass er tatsächlich der Lead Gitarrist und Sänger der legendären Münchner „The Ramblers Blues Band“ ist, erfahre ich erst von Christoph Seidenfus. Vielleicht, so mein unorthodoxer Gedanke, könnte man ja den Vereinsnamen „Schliersee liest“ in „Schliersee liest und groovt“ umbenennen und das nächste Mal gleich die ganze Band nach Schliersee einladen.
Nächster Mord geplant?
Harry Kämmerer, der seine berufliche Karriere einst als Student beim Kinderradio begonnen hat, dürfte sich gefreut haben, dass er am Ende seiner Lesung von der Viertklässlerin Henriette Wenzel für ein Schulprojekt interviewt wurde. Sie fand heraus, dass Kämmerers nächster Mord womöglich in Schliersee passieren könnte. Obacht, Leute!
Interviewerin Henriette Wenzel gemeinsam mit ihrer Schwester Wilhelmine und ihrem Vater im Gespräch mit Harry Kämmerer. Foto: Hannah Miska
Lesetipp: Ob ich biblio- was bin? Lesung aus verbrannten Büchern