Weihnachten und die Pandemie
Dasein für den anderen. Foto: pixabay
Interview zum Heiligen Abend
Am heutigen Heiligen Abend wollen wir an die Menschen denken, die unter der Pandemie besonders zu leiden haben. Hannelore Kraus begleitet professionell Menschen mit Defiziten und berichtet im Interview von ihren Erfahrungen, Sorgen, aber auch ihre Hoffnungen. Vorstand und Redaktion von KulturVision e.V. wünschen eine gesegnete Weihnacht!
MZ: Wie hast Du die vergangenen Wochen und Monate erlebt?
HK: Ich bin froh, in diesem 2. Lock-down zumindest den Großteil meiner Klienten besuchen zu können. Das liegt an den notwendigen – inzwischen verfügbaren – FFP2-Masken sowie an den konkreten und strengen Hygienemaßnahmen. Fakt ist, dass diese Menschen – mit welchen Defiziten auch immer – einer Begleitung mehr denn je bedürfen. In beruflicher Hinsicht sind diese Wochen vor Weihnachten für mich immer besonders intensiv, das war schon vor Corona so. Die vielen einsamen Menschen fühlen sich dann noch verlassener als sonst. Die isolierende Pandemie tut ihr übriges. Depression und körperliche Erkrankung nehmen sprunghaft zu. Physis und Psyche sind nun mal nicht zu trennen.
Ängste und Sorgen
MZ: Siehst Du die Probleme der Pandemie auch im Privaten?
HK: Im privaten Bereich fällt mir der offensichtliche Rückzug von Menschen auf. Ich erkläre mir das unter anderem mit Perspektivlosigkeit – was soll man sagen, wenn man selbst keine Vorstellung davon hat, wie und wann es weitergehen soll beziehungsweise darf. Perspektivlosigkeit ist selbst für die Menschen demoralisierend, die nicht unmittelbar vom finanziellen Ruin betroffen sind.
Aber auch von Letzteren gibt es natürlich mittlerweile mehr als genügend; Existenzangst ist ein weiteres, sich verbreitendes Schreckgespenst, das auch zu zunehmender Aggressivität führt. Ich habe das Gefühl, viele Menschen im privaten Bereich schämen sich, über Ihre Ängste und Sorgen zu sprechen; das ist in beruflicher Hinsicht oft anders, weil diesen Betroffenen gar nichts anderes übrigbleibt, aufgrund ihres offensichtlichen Hilfebedarfs.
MZ: Und wie gehst Du damit um? Wie kannst Du helfen?
HK: Ich für meinen Teil versuche zu signalisieren: Ich bin da. Im Zweifelsfall ist es sicher richtig, empathisch und vorsichtig nachzufragen beziehungsweise Hilfe oder Vermittlung anzubieten. Dazu sollte ich mich natürlich möglichst selbst in einer gefestigten, resilienten Verfassung befinden. Das wird wohl nur der Fall sein, wenn ich meine eigene physische und psychische Befindlichkeit kritisch im Auge behalte.
Eigenes Gleichgewicht halten
MZ: Wie schaffst Du es, trotz der Belastung, widerstandsfähig zu bleiben?
HK: Nur bei eigenem Gleichgewicht besteht die Möglichkeit, anderen eine Stütze zu sein. Nicht von ungefähr nehme ich seit Anbeginn dieser meiner beruflichen Tätigkeit regelmäßig Supervision wahr. Für mich erfreulicherweise schaffte ich es im Herbst gerade noch, die zusätzliche Ausbildung zur Trauerbegleiterin zu absolvieren, bevor wieder alles gecancelt wurde. Wichtig ist das für mich vor allem im Zusammenhang mit der massiven Trauer von Menschen bei zunehmendem Verlust ihrer Fähigkeiten – welche auch immer, beim Abschied von Lebensabschnitten, beispielsweise Umzug ins Seniorenheim. Es gibt massive Trauer in den unterschiedlichsten Lebenslagen, auch ohne unmittelbaren Bezug zu dem letzten großen Abschied.
MZ: Was kannst Du kranken, einsamen Menschen zu Weihnachten sagen?
HK: Ehrlich gesagt sehe ich das – insbesondere dieses Jahr – einigermaßen nüchtern – es hilft alles nichts. Wir werden uns kasteien müssen und zwar massiv und im Interesse aller. Viel wichtiger ist doch, sich möglichst das ganze Jahr über um guten Umgang zu bemühen und nicht nur zum Jahresende möglichst großen materiellen Aufwand zu betreiben. Es wird auch wieder ganz andere Weihnachten geben, ohne irgendwelche Beschränkungen.
Frohes und hoffnungsvolles Weihnachten
MZ: Dein Fazit für dieses Jahr der Pandemie?
HK: Sollten wir es nicht schaffen, aus dieser weltweiten Krise nachhaltig etwas zu lernen – sowohl im Umgang mit uns selbst als auch gegenüber unseren Mitmenschen und insbesondere in unserem gesamten Umweltverhalten, ist uns die nächste Katastrophe garantiert – und dann wird die Lage noch ernster. Und trotzdem – meine berufliche Tätigkeit relativiert manches – wir leben hier in unserem Land vergleichsweise definitiv in Sicherheit, gut versorgt, keiner muss verhungern, wir haben eine hervorragende medizinische Versorgung und machen uns dabei oftmals unnötigerweise selbst und anderen das Leben schwer.
In diesem Sinne vertraue ich dennoch auf ein frohes und hoffnungsvolles Weihnachten 2020. Es wird halt dieses Jahr stiller und im Großen und Ganzen wohl etwas achtsamer ausfallen, aber das hat ja auch was, oder?
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