Wer war Wolfgang Herrndorf?
Ausstellung „Zitate“ im Literaturhaus München. Foto: Ines Wagner
Ausstellung im Literaturhaus München
Der Frage, wer der Mensch, der Künstler, Maler und Schriftsteller Wolfgang Herrndorf war, näherte sich das Literaturhaus München mit seiner Ausstellung „Zitate“ von verschiedenen Seiten – mit einer ganzen Veranstaltungsreihe.
Die Meisten kennen ihn als Autor von „Tschick“, dem Roman zweier 14-Jähriger auf Abenteuerreise im geklauten Lada durch die Ostdeutsche Provinz. Für „Sand“ wurde ihm der Preis der Leipziger Buchmesse verliehen. Das Schreiben an „Arbeit und Struktur“ war sein Weg, der Angst vor dem Tod bisweilen zu entgehen. Der Blog, der später als Buch erschien, wird heute als Hauptwerk betrachtet. Nach der Diagnose eines unheilbaren Hirntumors waren die Bücher Wolfgang Herrndorfs Weg, die Zeit anzuhalten.
Rauschhafte Zuneigung zum Leben
Liest man seine Bücher, wird klar: Da war eine „rauschhafte Zuneigung zum Leben“ in ihm, wie er in „Diesseits des Van Allen-Gürtels“ schrieb. Viel zu früh war dieses Leben zu Ende. Aber weil er so besessen war, vom Leben, vom Arbeiten, Malen und später vom Schreiben, hat er noch besessener gearbeitet, als klar war, dass er den Tumor nicht überleben würde. So wie er stets die Deutungshoheit über sein Werk behalten wollte, behielt er auch die Lebenszügel fest in der Hand. Er definierte selbst, wann und wo sein Abgang aus diesem Leben erfolgte, statt auf den Krebstod zu warten.
Selbstbildnis Wolfgang Herrndorf (Ausschnitt). Repro: Ines Wagner
Das aber thematisiert die Ausstellung im Literaturhaus nicht. Und gut so. Sie widmet sich dem Teil des Werkes von Wolfgang Herrndorf, der am wenigsten bekannt ist: Den Bildern. Bevor er anfing, Bücher zu schreiben, hat er in Nürnberg Malerei studiert. Er ist herausgestochen mit seiner Begeisterung für die Alten Meister und für alles Kreatürliche, berichten ehemalige Kommilitonen in SÜDLICHT, einer Roadshow des BR. Der Titel: „Was wissen wir noch nicht über Wolfgang Herrndorf?“ Das Video läuft in der Ausstellung. Puzzlestein um Puzzlestein wird ein Bild des Künstlers zusammengesetzt. Oder, um es im Kontext der Werkschau zu benennen: „Zitat um Zitat“.
„Macht einem manchmal Angst, die Natur“
Wolfgang Herrndorf war als Schriftsteller ein Perfektionist und ebenso als Maler. Tagelang hat er an Sätzen gefeilt, die seine Bilder untertitelten. „Metaphysik hin, Katechismus her, irgendwie war zu spüren, dass man hier nicht lebend raus kam“. Oder: “Macht einem manchmal Angst, die Natur.“ Messerscharf, präzise, lakonisch, auf den Punkt. Die Bilder/Sätze drücken Hochachtung vor der Natur aus und zeigen zugleich die lächerliche Unvollkommenheit des Menschen. Er bewunderte die Alten Meister, Raffael, van Eyck und Vermeer und zog die Klassik der Modernen Malerei vor.
Helmut Kohl-Kalenderblätter von Picasso bis Baselitz. Foto: Ines Wagner
Nach dem Studium arbeitete er u.a. als Illustrator für das Satiremagazin Titanic. In den Bilder verschmolz er kunsthistorische und popkulturelle Zitate. Seine am Realismus orientierte Malerei mit zeitgenössischen Elementen fand großen Anklang, beispielsweise die Madonna Raffaels mit Schwein im Arm, Hitler im Stil Picassos, der Märtyrer als Türstopper. Herrndorf fälschte die Alten Meister nicht, sondern zitierte sie, gewürzt mit Humor und Satire. Ein schönes Beispiel dafür ist, wie er anhand Helmut Kohls die gesamte Kunstgeschichte von Picasso bis Baselitz durchdeklinierte. Auch die „Sammelbildchen“ der Deutschen Nationalmannschaft für die WM 2002, die Vorwegnahme des Nicht-Sieges, ist beispielhaft für Herrndorfs schrägen Humor.
Großer Erzähler, als Romancier und Maler
Kurator Jens Kloppmann hat aus den über 600 hinterlassenen Arbeiten etwa 140 für die Ausstellung zusammengetragen. Die Werkschau umfasst sowohl eine Auswahl der Illustrationen und Satiren, als auch klassisch-realistische Werke. Der „typische Herrndorf“ als Maler sei schwer erkennbar, heißt es, er habe so viele verschiedene Stile in hohem Maße perfektioniert. Am ehesten stecke der echte Herrndorf vermutlich in den Selbstporträts. Als er mit dem Schreiben begann, hat er der Malerei den Rücken gekehrt. Wenn er etwas fokussierte, dann konsequent. Im Leben und im Sterben.
Wolfgang Herrndorf war ein großer Erzähler, als Romancier und als Maler. Das macht die umfassende Ausstellung im Literaturhaus samt Rahmenprogramm deutlich. Am 13.9. findet als letzter Höhepunkt zur Ausstellung in den City Kinos die Preview zur Verfilmung von „Tschick“ samt Gespräch mit Regisseur Fatih Akin statt.