Wild Plants –Pflanzen als Lehrmeister
Kinga Osz, Urban Gardener in Detroit, Foto: CloseUpFilms
Dokumentarfilm und Regisseurgespräch in Rottach-Egern
Citygärten in Detroit? Guerilla-Gardening in Zürich? Pionierpflanzen in Genf? Können wir mithilfe von Pflanzen neue Räume schaffen, um die Gesellschaft zu verändern? Regisseur Nicolas Humbert geht in seinem Dokumentarfilm „Wild Plants“ dieser Frage nach. Poetisch, berührend und inspirierend.
„Pflanzen wachsen langsam und brauchen Geduld“, sagt der Münchener Filmemacher Nicolas Humbert. Genau wie dieser Film. Bild und Ton sind behutsam und ästhetisch aufeinander abgestimmt. Wild Plants führt die Zuschauer ganz nah an die Natur. Dorthin, wo Zeit eine untergeordnete Rolle spielt, genau wie in den 108 Minuten, die der Film dauert. Es ist ein Eintauchen in eine gesunde Langsamkeit.
Bilder wie Gemälde
Ein Hund rutscht übers Eis, läuft auf zersplitternden Pfützen, über brache Flächen. Ein riesiger Nadelbaum fällt mit lautem Krachen zu Boden. Vögel fliegen auf, bilden bizarre, surrealistische Muster am Himmel. Die kraftvollen Bilder führen durch Industriebrachen, vorbei an verlassenen Häusern. Schirmfliegerschwärme vom Löwenzahn malen bizarre Strukturen auf die Leinwand. Der Film beginnt wie eine Folge von Gemälden.
Mit den Händen die Erde bearbeiten. Foto: ©M.Pitteloud.CloseUpFilms
Es ist ein Film über Wildpflanzen, der uns viel über unsere heutige Gesellschaft erzählt. Wild Plants sind auch die Menschen, die er mit der Kamera begleitet, genau wie die Pflanzen, die sie mit erdigen Händen heranziehen, in der Natur aufsammeln und ihnen Aufmerksamkeit schenken. „Auch wenn wir erst nach 70-100 Jahren in den Kreislauf der Natur zurückkehren, sind wir Pflanzen“, erläutert ehrfürchtig der indianische Philosoph Milo Yellow Hair im Pine Ridge Reservat, Süddakota. Er ist einer der Menschen, die Nicolas Humbert begleitet hat.
Wild Plants – Pionierpflanzen in Nischen und an Unorten
Wild Plants sind Visionäre, die ihre eigene Utopie entwerfen und damit Impulsgeber für andere Menschen sind. Wie beispielsweise Guerilla-Gärtner Maurice Maggi in Zürich. Fast unheimlich, auf jeden Fall heimlich, streut er nächtens systematisch Malven-, Kürbis und Wildrosensamen in der Stadt aus. Aus den Samen einer aufgegangenen Malve gewinnt er neuen Samen für viele neue Pflanzen und wird auch diese auf Zürichs Brachflächen verteilen. Anfänglich ließ die Stadtverwaltung den Wildwuchs ausreißen. Inzwischen wird Maggi bei offiziellen Projekten um Rat gebeten. Die Saat seiner Pflanzen ist aufgegangen, nicht nur „in Nischen und an Unorten“, auch in den Köpfen.
Trailer „Wild Plants, CloseUpFilms
Ein Pflanzenphilosoph ist auch Andrew Kemp, Teil der Urban Gardener Bewegung in Detroit. Für ihn ist der Kompost Dreh- und Angelpunkt alles Werden und Vergehens. Er bringt seinen Schülern bei, dass man Obst einfach von Baum pflücken kann, statt es im Supermarkt zu kaufen. Kinga Osz erzählt, wie sie im Wachstumszyklus der Pflanzen ein bejahendes, sinnstiftendes Lebensbild findet.
Jardins de Cocagne in Genf, Foto: CloseUpFilms
In Genf besucht Nicolas Humbert die Landbau-Kooperative „Jardins de Cocagne“. Dort verstehen die jungen Gärtner ihre Arbeit als Widerstand, der in der Verteidigung der Gemeinschaft, in der Nähe zwischen Anbauenden und Verbrauchern besteht. Nach seiner Vision befragt, sagt einer der Gartenrebellen: „Dass die Menschen teilen lernen.“
Rückbesinnung auf Gemeinschaft, Genügsamkeit und Geduld
Nicolas Humberts Film ist selbst eine Pionierpflanze, die Samen auslegt, aus denen Ideen wachsen, Anregungen, Angebote zum Nachdenken, in welche Richtung unsere Gesellschaft sich verändern könnte. Uns allen ist klar, dass es höchste Zeit wird, uns von der materialistischen Lebensweise zu verabschieden, mit der wir die Erde plündern. Wir müssen für eine enkeltaugliche Zukunft sorgen und neue Wege finden, um ins Handeln zu kommen.
Der Film romantisiert nicht. Er soll zum Nachdenken anregen, darauf, sich zu besinnen auf Gemeinschaft und Genügsamkeit. Es braucht wenig, um ein sinnerfülltes Leben zu gestalten. Das liegt in der Hand und Entscheidung jedes Einzelnen.
Regisseur Nicolas Humbert und Schnitttechnikerin Simone Fürbringer. Foto: Ines Wagner
Der Regisseur stellte sich gemeinsam mit Schnitttechnikerin Simone Fürbringer in Rottach-Egern den Fragen des Publikums. Wie sehr dieses Thema das Bedürfnis unserer Gesellschaft trifft, die nach alternativen Wegen sucht, zeigte sich an den restlos ausverkauften Karten. Kinobetreiberin Carmen Obermüller war flexibel, öffnete einen zweiten Saal und ließ den Film parallel laufen. So groß war die Resonanz. Auch hier im Landkreis und im Tegernseer Tal gibt es „Wild Plants“, Pionierpflanzen, die erfolgreich vormachen, dass es durchaus Alternativen gibt.
Filmplakat „Wild Plants“, Foto: CloseUpFilms