Wir haben es zu weit getrieben

Theresa Huber, Anna Strohschneider, Judith Kleine. Foto: Peter von Felbert

„Die Anderen“, Schüler des Gymnasiums Tegernsee, brachten unter Leitung von Sabine Schreiber den Brandner Kaspar auf die Bühne im Ludwig-Thoma-Saal und überzeugten durch den eigenen hochaktuellen Text ebenso wie durch Inszenierung und Spiel.

Theater des Gymnasium Tegernsee

Auf die Idee Idee muss man kommen: Dem Boanlkramer einen muslimischen Todesengel beizugesellen und die beiden permanent um die Seelen streiten zu lassen. Kobell, lebte er heute, wäre sicherlich neidisch auf diese neue Wendung seines altbekannten Stückes. Ein Jahr lang bastelten die Schülerinnen und Schüler an ihrer ureigenen Auslegung. „Wir haben das Stück durch den Fleischwolf gedreht“, erzählt Sabine Schreiber, die schon im vergangenen Jahr mit den „Anderen“ Tiecks romantische Version des „Gestiefelten Katers“ inszenierte. Sie habe den Schülern nichts vorgeschrieben, sondern sie nur geleitet, sagt die Holzkirchener Dramaturgin. Dann schrieb Theresa Huber, die klar und emotional die Marei spielt, das Stück. Nur die Texte der Erzählerin (Anna Walleitner) die auf Rollschuhen und im Abendkleid eine Art Nummerngirl zwischen den Szenen verkörpert, schrieb diese selbst.

Wie Originalszenen, beispielsweise die berühmte Kerschwasserszene zwischen dem Brandner Kaspar, überzeugend von Anna Strohschneider gespielt, und dem Boanlkramer, pantomimisch und vom Körpereinsatz her köstlich Clara Lütjohann im St. Pauli T-Shirt und Smartphone, mit neu geschriebenen Szenen vermischt wurden, ist äußerst reizvoll, zumal die neuen Szenen Aktualität hinsichtlich Flüchtlingsthema hineinbringen. So hat also die Marei den Flüchtlingsfreund Jalil, dem Judith Kleine einen gehörigen Schuss sprachliche Exotik verleiht.

Wie Hilfe aussehen kann

Und dann also kommt dem christlichen Boanlkramer der muslimische Friedensengel (Emily Schmid) ins Gehege. Ein gelungener Einfall ist es, dass beiden Darstellern des Todes sogenannte Wegbegleiter an die Seite gestellt werden. Larissa Klose mit blutunterlaufenen Augen notiert sehr ernsthaft das Verhalten ihres Vorgesetzten und Alexa Erhardt als muslimische Praktikantin gibt immer mal wieder ihren Senf dazu.

Von Anfang an geht es im Stück nicht nur um das ewige Leben des Brandner, sondern ebenso wie in der aktuellen Situation Hilfe aussehen kann, so wird also der Brandner zum Schleuser von Flüchtlingen, woraus sich eine spezielle Dramatik des Stückes entwickelt.

Ungewöhnliche Bilder

Bemerkenswert ist, wie die Darsteller nicht nur das Geflecht aus Original und Selbstgeschriebenem verkörpern, sondern wie sie den Text in die Inszenierung umsetzen und dabei ganz ungewöhnliche Bilder finden. Da zieht sich Franzi (Johanna Jank) am Grab die schwarzen Sachen aus, da spielen die beiden Seelenfänger Sombreromusik, da zieht der muslimische Friedensengel nach dem Kiffen beim Schach mit den Zehen. Toll auch der Rap von Clara Lütjohann und Emily Schmid, den die beiden selbst verfassten.

Friederike Ebensberger spielt die mit seherischen Fähigkeiten ausgestattete Mutter in ihrer Verwirrung sehr glaubwürdig und Jakob Kleine als Max mit gegelten Haaren nimmt man die Intriganz gern ab. Marlies Oberlechner, Antonia Hartl, Julius Jarasser und Benedikt Obermüller bereichern in den Nebenrollen die Inszenierung.

Was nützt das ewige Leben?

Diese lebt auch von den Kostümen und der tollen Maske (Franzi Jooß), sowie dem gelungenen Bühnenbild (Michael Petters). Und immer wieder läuft Blut über die Kulissen, symbolisch für das, was vor den Kulissen geschieht. Und letztlich bleiben die Fragen: Was nützt das ewige Leben? Kommen hoffentlich wieder bessere Zeiten? Sind hier in Bayern die Menschen genauso egoistisch und hasserfüllt wie in den Ländern, aus denen die Flüchtlinge kommen? Muslim oder Christ, gibt es Schlecht oder Gut? Wird wirklich jeden Tag die Goldene Regel gebrochen? Wie das Stück ausgeht, entscheidet das Publikum.

Der starke Applaus aber, den die Schülerinnen und Schüler gestern Vormittag dem Satz : „Auf welcher Seite ihr steht, müsst ihr selbst entscheiden“ spendeten, lässt optimistisch werden. Ebenso optimistisch aber, dass die Jugendlichen auf der Bühne sich so intensiv mit Zeitfragen auseinandersetzen und den Todesengel und den Boanlkramer sagen lassen: „Wir haben es zu weit getrieben.“ Großes Kompliment!

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