Wohin geht der Mensch?

Wohin geht der Mensch?

Prof. Stefan Brunnhuber im Gespräch mit Prof. Michael von Brück. Foto: MZ

Symposium in Weyarn

Mit diesem Thema befasste sich das Symposium der Spirituellen Akademie am Domicilium Weyarn. Deren Rektor Professor Michael von Brück hielt den Eröffnungsvortrag und hatte sich mit Professor Stefan Brunnhuber einen spannenden Gesprächspartner eingeladen.

„Was haben wir noch, was Hoffnung geben kann?“ Mit dieser Frage von David Steindl-Rast aus dem Jahr 1998 eröffnete Michael von Brück seinen Vortrag und antwortete mit dem Benediktinermönch: „Wir haben einander.“

Damit setzte er gleich zu Beginn den Fokus fest: „Wir sind individuelle und kollektive Menschen, spirituelle, soziologische und politische Wesen.“ Dies hatte auch Sebastian Snela, Geschäftsführer des Domicilium, betont, in dem er seinen Eltern Helena und Bogdan Snela dankte, die das Domicilium und die Hospizgemeinschaft gründeten und damit etwas für die Gesellschaft schufen.

Wohin geht der Mensch?
Sebastian Snela, Geschäftsführer Domicilium. Foto: MZ

Michael von Brück schlug den Bogen aus den achtziger Jahren, in denen schon über die Transformation der Gesellschaft hin zu einem integralen Bewusstsein und einer Koinzidenz von Ost und West boomte, hin zur Gegenwart, einer Zeit der Entmutigung, in der davon gesprochen werde, dass der Mensch eine Fehlentwicklung der Evolution sei. „Der Mensch ist trotz seiner enormen intellektuellen Fähigkeiten ein emotionaler Krüppel“, sagte der Theologe, Zen-Meister und Yogalehrer.

Er erinnerte an die zwei Mythen, die die Frage „Wohin geht der Mensch?“ beantworten. Die westliche Tradition, dargestellt in der Sixtinischen Kapelle, sagt: Gott schuf den Menschen, damit er Gott wird, das heißt, letztlich geht er zu Gott.


Michelangelos Gemälde: Die Erschaffung Adams in der Sixtinischen Kapelle. Foto: MZ

In Indien indes verkörpert Shiva Werden und Vergehen, in dem der Mensch nur ein Aspekt des schöpferischen Wirbels ist.

In der christlichen Tradition warte der Mensch auf die Vollendung der Welt, die als Licht, etwa wie in der Meditation oder bei Nahtoderfahrungen wahrgenommen werde, in der tibetischen Tradition aber sei das letzte Stadium das erste.


Der tanzende Shiva verkörpert Werden und Vergehen. Foto: MZ

In der Apokalypse, so führte Michael von Brück aus, werde es am Ende einen Zustand ohne Widersprüche geben, er sprach von einer Absorption der Schöpfung in Gott. Nach einer Expansion in die Vielfalt folge demnach eine Kontraktion. In der Bhagavad Gita, dem zentralen Text des Hinduismus, sei festgehalten, dass der Mensch als Teil der Schöpfung dem Werden und Vergehen unterworfen sei.

„Gleichzeitig aber ist der Mensch ein Wesen, der diesen Zusammenhang erkennen kann“, betonte der Redner. Die Frage „Wohin geht der Mensch?“ werfe die Frage auf, was das für die Lebenspraxis bedeute. „Nur was begrenzt ist, hat eine Form“, sagte er, ebenso wie in der Kunst. Und in dieser Erkenntnis stecke die Schlussfolgerung: „Er geht dahin, wo er zum Kunstwerk werden kann.“


Michael von Brück hielt den Eröffnungsvortrag im Symposium „Wohin geht der Mensch?“. Foto: MZ

Wer ist der Mensch? Diese Frage stellte im anschließenden Gespräch Michael von Brück Stefan Brunnhuber, Arzt, Psychiater, Soziologe, Finanzexperte und Mitglied des Club of Rome. Diese Frage stelle sich insbesondere in unserer Zeit der Krisen. „If you die bevor you you die, you will not die when you die”, zitierte der Gast den Spruch am Eingang des griechischen Athos-Klosters und ergänzte: „Wir müssen eine Des-Indifikation anstreben, uns also von der Identifikation verabschieden.“

Die vier Tabus der Gesellschaft: Sex, Macht, Geld und Tod

Diese Entwicklung des Menschen hin zum transpersonalen Wesen sei zentral in der Literatur des 20. Jahrhunderts. Dazu gehöre insbesondere die Hingabe, das Sich-Ausliefern, das Mitgehen mit den Prozessen, erwiderte Michael von Brück.

Die individuelle Dimension sei wichtig, aber in der kollektiven Dimension der Änderungsprozesse gehe es um drei Phasen, führt Stefan Brunnhuber aus, um die Änderung des Bewusstseinszustandes, um neue Technologien und um die Bedeutung des Finanzsystems. Zudem gebe es in der Gesellschaft die vier Tabus Sex, Macht, Geld und Tod. „Transformation ist eine Wendeltreppe, an der individuelle und institutionelle Entwicklung aufeinandertreffen.“


Spannende Diskussion: Stefan Brunnhober und Michael von Brück. Foto: MZ

Da die individuelle und kollektive Entwicklung zusammenhängen, könne die kollektive Entwicklung durch die individuelle doch beeinflusst werden, meinte Michael von Brück. „Die Menschen haben ihr Potenzial nicht ausgeschöpft.“ Da die Krisen benennbare Ursachen in der psychischen Deformation der Menschen haben, gebe es doch Hoffnung, ein anderes Bewusstsein für die vier Tabus zu entwickeln.

Die Krux liege in der Verdrängung. Machtstreben und Angst seien wesentliche Hemmnisse für eine positive Entwicklung, die aber bei ökologischen Fragen durchaus vorhanden sei, sagte der Theologe.

Das Festhalten an Strukturen hemmt

Hemmnisse seien auch das Festhalten an Strukturen und an Gewohntem in der Politik, betonte Stefan Brunnhuber, hob aber auch hervor: „Wir leben in der besten Zeit, unsere Lebenserwartung ist so hoch wie nie zuvor.“ Und er stellte die Frage: „Welches System kann den Menschen verbessern?“ Eine Antwort hatte er darauf: „Systeme ohne Freiheit werden durch KI substituiert.“ Er sagte aber auch: „Bei zu schneller Entwicklung kommt es zu Dissoziationen.“

Michael von Brück sprach das Schlusswort zu dieser inspirierenden Diskussion: „Wir brauchen Pluralität, weil sie Freiheit ermöglicht, Abkürzungen sind problematisch und wir müssen in der Zeitperspektive anthropologische Fragen berücksichtigen.“

Zum Weiterlesen: Wenn Geschwister Abschied nehmen müssen

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