Yasin malt die Berge
Yasin Rezaie malt oft die Berge oder das Meer. Foto: IW
Seit zwei Jahren lebt Yasin Rezaie aus Afghanistan in Deutschland. In dieser Zeit hat er nicht nur die deutsche Sprache nahezu fließend sprechen gelernt. Er hat das Malen entdeckt und zieht große Kraft daraus. Der junge Geflüchtete liebt die Berge, das unfassbare Grün und das Meer.
Das Meer hat für Yasin seinen Schrecken verloren. Er hat es geschafft, obwohl er die gefährlichere Route genommen hat, die billigere, mit über sechzig Geflüchteten in einem winzigen Boot von der Türkei nach Griechenland. Wenn er jetzt das Meer malt, hört er die Wellen. Sie haben einen schönen Klang. Das Meer steht in seinen Bildern für die Weite, für den Neuanfang. Und es steht dafür, dass er seine Ruhe im Alleinsein findet. Ebenso wie die Berge. Denn allein ist Yasin eigentlich fast nie.
Yasin Rezaie: Das Meer hat seinen Schrecken verloren – es gibt Sterne und einen Leuchturm. Foto: IW
Im Rottacher Heißluftdom mit zuweilen über 120 Menschen gab es Ohropax. Die halfen aber nicht. Jetzt ist Yasin glücklich, er teilt sich ein Dreibettzimmer, geht zur Berufsschule nach Miesbach, zuvor war er in Holzkirchen. Schuldirektor Schlemmer war stolz auf Yasin, der das erste Jahr als Bester seiner Klasse abschloss. Noch stolzer war nur Maria Al Memar. Die Rottacherin hat Yasin im Heißluftdom kennengelernt und den fleißigem höflichen, ruhigen Jungen ins Herz geschlossen.
Den Geflüchteten helfen, wo es geht, nicht nur „versorgen“
Als er kam, sprach er weder Englisch noch Deutsch. Er war auf dem Weg nach Schweden, dort leben Verwandte. In Österreich wurde seine Reise gestoppt, er kam nach Deutschland. Deutsch hat er dann schnell gelernt, er war wissbegierig und fleißig. Maria El Memar kümmerte sich mit großer Leidenschaft, nicht nur um den jungen Afghanen. Gemeinsam mit den Geflüchteten unternahm sie Radtouren, Wanderungen in die Berge, förderte und half, wo sie konnte. „Die Jungen nur im Heißluftdom ‚versorgen‘, das wollte ich nicht“, sagt Maria el Memar, „sondern helfen, dass sie hier richtig ankommen“. Der Kontakt ist nicht abgerissen, obwohl der 21-Jährige inzwischen in Otterfing wohnt. Sie sehen sich regelmäßig. Maria Al Memar freut sich, dass Yasin so gute Fortschritte macht, nicht nur in der deutschen Sprache.
Yasin malt erst seit einem Jahr
Auf der FOS hat er angefangen zu malen. Und schnell wurde sein Talent deutlich. Inzwischen konnte Yasin schon zwei Mal seine Bilder der Öffentlichkeit präsentieren: bei einer Ausstellung in der Otterfinger Grundschule und beim Weihnachtsbasar. Er ist glücklich, dass sogar einige seiner Bilder gekauft wurden. Denn Geld braucht er dringend. Nicht nur, um etwas nach Hause zu schicken. Seine Mutter und vier Geschwister leben im Iran. Er braucht 500 Euro, um seine Geburtsurkunde aus Afghanistan zu organisieren. Das ist schwierig und kostspielig, weil seine Familie bereits in den Iran flüchtete, als er sieben Jahre alt war.
So sieht Yasin Rezaie die Berge – und liebt das Grün. Foto: IW
Für den Weihnachtsbasar fotografierte eine Betreuerin seine Bilder, Postkarten wurden angefertigt. Der Erlös aus dem Postkartenverkauf waren über einhundert Euro. Die hätte er gut gebrauchen können. Aber er gab das Geld dem Flüchtlingsheim, damit die Betreuer eine Weihnachtsfeier für alle 45 Geflüchteten ausrichten konnten. Und obwohl er und seine Freunde sich etwas Geld hätten verdienen können, als Maria Al Memar Umzugshelfer suchte, war es Ehrensache, kein Geld anzunehmen. „Freunden hilft man, da nimmt man kein Geld“ war seine schlichte Logik. Yasin ist glücklich, dass er Menschen gefunden hat, die ihm helfen und wertschätzen. Er ist glücklich, dass seine Bilder jetzt bei einigen von ihnen in der Wohnung hängen. Die meisten davon hat er verschenkt.
„Wenn man selbstvergessen tanzt, wächst man über sich hinaus, fühlt man sich groß“, sagt Yasin Rezaie. Foto: IW
Das Wort „glücklich“ fällt öfters in unserem Gespräch, es ist ein dankbares, stilles Glücklichsein. Zum Beispiel, wenn er auf die Berge zu sprechen kommt. In Afghanistan und auch im Iran gibt es ein solches Grün nicht. „Wenn ich im Wald, in den Bergen, am See bin, macht mich das glücklich“, sagt er in ausgezeichnetem Deutsch, „die Menschen könnten etwas so Wunderbares nicht erschaffen, das kann nur die Natur“.
Daumendrücken für die Geburtsurkunde
Und dann gibt es die Tage, an denen er niedergeschlagen ist. Wenn er um seine Lehrstelle bangt und die Geburtsurkunde, die große Hürde, unerreichbar erscheint. Wird er es schaffen, dass das Dokument rechtzeitig eintrifft und die IHK den Ausbildungsplatz akzeptiert? In solchen verzagten Momenten entstehen Bilder wie das vom Adler mit den farbenfrohen Federn und dem traurigen Menschenkörper. „Man braucht starke Flügel für diesen schwierigen Weg, wie der Adler“, beschreibt Yasin das Bild, „und eine starke Motivation“.
Eine starke Motivation hat auch Maria Al Memar: „Ich habe selbst zwei junge Söhne und zahle auf ein imaginäres Konto“, sagt sie. „Wenn sie draußen in der Welt unterwegs sind, hoffe ich, dass man ihnen ebenso hilft.“
in Maria el Memars Wohnzimmer hängen Yasins Bilder. Foto: IW
Yasin zieht Kraft aus seinen Bildern: „Wenn ich traurig bin, male ich“, sagt er lächelnd, „und wenn ich dann meinen Namen unter das Bild setze, macht mich das glücklich.“ Nach einem Praktikum im Kindergarten, das ihm viel Freude gemacht hat, arbeitet er jetzt im Wechsel mit der Schulzeit als Praktikant in einem Holzkirchner Autohaus. Dort möchte er gerne im Herbst seine Ausbildung beginnen. Dazu braucht er die Geburtsurkunde. Nicht nur Maria Al Memar fiebert mit ihm.