Von der Ostukraine nach Miesbach
Yurii und Mariia Herets. Foto: Petra Kurbjuhn
Künstlerportrait
Nach einer Odyssee hat das studierte Musikerehepaar jetzt eine neue Heimat in der Kreisstadt gefunden. Die beiden planen ihre Zukunft im Landkreis Miesbach, jeder auf seine Weise aber auch gemeinsam. Im Wege stehen dabei gesetzliche Bestimmungen. Am 30. Dezember spielen sie in Hausham.
„Ich möchte sehr gern Kinder unterrichten“, erklärt Mariia Herets. Dafür aber benötige sie an privaten Musikschulen die Sprachprüfung C1 und sie habe bislang erst A. An staatlichen Schulen wiederum werde ihr Diplom nicht anerkannt. Die 27-jährige Geigerin stammt aus der jetzt von den Russen okkupierten Ostukraine und absolvierte ihren Bachelor an der Universität in Charkiv und ihren Master als Musikpädagogin in Poltava. Schon mit fünf Jahren begann sie, Geige zu spielen.
Ihren Mann Yurii traf sie auf dem College in Sewerodonezk im Osten der Ukraine. Er studierte ebenfalls an der Universität der Künste in Charkiv und beendete mit dem Diplom als Trompeter und Musikpädagoge. Für ihn aber ist Unterrichten keine Option. Er wünscht sich, in einem Orchester zu spielen, so wie in der Heimat. In der Ostukraine spielte er in einem Polizeiorchester. Trompete lernte er wegen eines Lungenschadens. Der Arzt habe ihm empfohlen, die Lunge mit Trompete spielen zu trainieren. Als zweites Instrument wählten beide das Klavier. „Ich liebe Klassik, Rock, Pop, Jazz und Marschmusik und ich mache Arrangements“, erzählt er.
Schwieriger Weg nach Deutschland
Das Paar verließ die Heimat im April 2022. Sie erzählen, wie nach der Okkupation die marodierenden russischen Söldner die Menschen mit Gewehren aus ihren Wohnungen verjagten und alles Wertvolle mitnahmen und nach Russland transportierten. „Wir lebten sechs Wochen im Keller ohne Heizung, Strom und Wasser, wir mussten den Schnee schmelzen, um etwas zu trinken zu haben“, erzählt Mariia. Es habe keine Möglichkeit gegeben, in die nicht besetzte Ukraine zu kommen, da sie hinter der Front lebten. Dann kam die Evakuierung zunächst auf einem offenen überfüllten LKW, immer bedroht von Raketen und Tieffliegern, dann per Schiff von Lettland nach Deutschland.
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Sie fanden zuerst Unterschlupf bei Yuriis Schwester in München, später in Holzkirchen, Wattersdorf, wieder Holzkirchen und sind sehr dankbar, jetzt in Miesbach nach einer langen Odyssee eine schöne Wohnung zu haben. „Wir treffen viele gute Menschen, die helfen“, sagt Yurii, der von Flashbacks und schlechten Träumen erzählt, ebenso wie Mariia, die von Panik berichtet, als einmal früh um 5 Uhr geschossen wurde, wegen einer Hochzeit. „Aber in Deutschland sind wir sicher“, sagt sie.
Erst Auftritte in Miesbach
In Kirchenmusiker Michael Hamberger von der katholischen Pfarrgemeinde Miesbach fand das Musikerehepaar Unterstützung, zumal er Russisch spricht. Beide singen im Kirchen- und Jazzchor und musizieren zu bestimmten Anlässen in der Kirche. Zur Eröffnung einer Ausstellung im Kulturzentrum Waitzinger Keller wurden sie von Kulturamtschefin Isabella Krobisch engagiert.
Die Herets bei einer Vernissage. Foto: Isabella Krobisch
Ab September kann Mariia in der Volkshochschule einen Kurs zur musikalischen Früherziehung geben, die vhs besteht nicht auf dem C1 Zertifikat. Langfristig aber wünschen sich die beiden eine sichere Arbeitsmöglichkeit. Das bedeutet einen Raum, in dem sie proben können, die Möglichkeit zu unterrichten für Mariia, die am liebsten Klassik spielt, wobei sie Mozart, Schubert und Rachmaninow bevorzugt, aber auch Pop und Rock gern spielt. Neben der Musik hat sich die Geigerin ein zweites Standbein erarbeitet. Sie fertigt feinste Perlenarbeiten, Bilder, Schmuck und benäht Taschen. Und sie sucht dafür Materialien.
Imporvisiertes Konzert beim Erscheinungsfest für die 40. Ausgabe der KulturBegegnungen. Foto: Petra Kurbjuhn
Yurii kann sich zwei unterschiedliche Wege in der Zukunft vorstellen: Entweder Orchestermusiker als Trompeter oder 3D-Modellierung. Die Arbeit am Computer liebe er genauso wie das Musizieren, bekennt er, und so arrangiert er auch für Auftritte mit seiner Frau Begleitmusik aus der Cloud, so dass ihre Musik wie die Musik einer Band klingt. Genau das würde ihnen auch Freude machen, gemeinsam in einer Band mit anderen Musizierenden zu spielen.
Auch mit russischen? „Die erste Frage ist immer, unterstützt ihr den Krieg?“, sagt Mariia. Ihre Familie ist durch den Krieg zerbrochen. „Die Geschwister meiner Mutter in Russland verstehen Putin, aber mich nicht.“ Die russische Propaganda arbeite gut, sagt Yurii, zudem hätten die Menschen Angst in der Diktatur. Die Ukraine indes sei ein freies demokratisches Land. Jetzt aber sei alles Russische nicht gern gesehen.
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Dieser Beitrag erschien in der 40. Ausgabe der KulturBegegnungen auf Seite 20.